Pazifisten in Syrien: "Familien bekommen keine Leichen"
Von Stefan Schocher
Die vergangenen vier Jahre haben Davids Nerven zugesetzt. Spricht er über die beiden Male, die er inhaftiert war, stockt seine Stimme. Er zündet sich reihenweise Zigaretten an, schnappt nach Luft, nach Worten, nach Rauch. Er ist ein junger Mann Mitte 20, träumt von einer gerechten Gesellschaft, von Frieden und – und da liegt das Problem – auch von Freiheit und politischen Veränderungen. Aber ein Gewehr, so sagte er einmal, würde er nie angreifen. Und er ist sich treu geblieben in diesem Punkt.
Dafür reist er. Nach Genf, nach Kairo, nach Beirut. Macht Stimmung in diplomatischen und politischen Kanälen für Veränderungen in Syrien. Er sammelt Daten und Fakten über Verstöße gegen Menschenrecht, übt Kritik. David ist das, was man schlicht "politische Opposition" nennen könnte. In Syrien aber ist das gefährlich.
Zwei Mal wurde er inhaftiert in den vergangenen Jahren. Das erste Mal, weil er einen Bericht der Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch bei sich hatte. Vorwurf: Spionage. Das zweite Mal, weil er auf einer Liste stand. Wieso, kann er nicht sagen. Ganz sicher aber ist: Er steht auf vielen Listen. Jedes Mal, wenn er Syrien verlässt oder wenn er wieder einreist, wird er zu einer längeren Befragung gebeten.
Polizeistaat
Syrien, oder das, was nach fünf Jahren Krieg vom Herrschaftsbereich Diktator Assads übrig geblieben ist, ist bis heute ein klassischer Polizeistaat – und ein überaus gut funktionierender. Wer nicht aufmuckt, dem wird so weit wie möglich ein komfortables Leben geboten. Wer aber die Stimme erhebt, der hat mit Folgen zu rechnen. Lebensbedrohlichen Folgen. Folter steht an der Tagesordnung.
Und sie hat System. Von Elektroschocks an Genitalien, Methoden, durch die die Rückenmarks-Nerven gequetscht und oft nachhaltig geschädigt werden, Schlägen und Finger- sowie Fußnägelziehen wird berichtet. Ein Netzwerk an Gefängnissen unter Obhut des Innenministeriums sowie Einrichtung unter Kontrolle diverser Sicherheitsdienste sind Schauplätze solcher Verhöre, bei denen Todesopfer durchaus in Kauf genommen werden.
Am gefürchtetsten ist dabei der Geheimdienst der Luftwaffe, dem David seine zweite Verhaftung zu verdanken hat. Wie lang er da saß in seiner Ein-mal-ein-Meter-Zelle unter einer Neonröhre, nur um zu Verhören geholt und geschlagen zu werden, kann er nicht mehr sagen. Vielleicht fünf oder sechs Tage. Danach war er im Spital.
Viele Freunde aber haben die Haft nicht überlebt. Ein Freund von ihm wurde erst vor Kurzem inhaftiert und ward nie wieder gesehen. Eine Leiche hat die Familie nie erhalten. Nur eine Todesurkunde. Todesursache: Herzinfarkt. "Familien bekommen keine Leichen mehr, nur mehr Todesurkunden." Verrückt sei das, sagt David, "wir haben Krieg in diesem Land und nach wie vor scheinen Leute, die sich um Menschenrechte kümmern, um Veränderungen auf politischem Weg, für das Regierung gefährlicher zu sein als bewaffnete Banden."
Ein anderer Freund verschwand, tauchte wieder auf, muss sich jetzt aber vor einem Militärgericht (in allen Fragen politischer Gegnerschaft tagen nur solche Gerichte) wegen Terrors verantworten. Solche Gerichte tagen geheim. David sagt: "Was sie in der Hand haben, ist, dass er aus Al-Hajar (ein von Rebellen gehaltener Vorort Damaskus’, Anm.) stammt – das reicht." Ihm droht die Todesstrafe.
Verschärfte Gesetze
Seit 2013 gelten verschärfte Gesetze. Militärische Antiterror-Gerichte wurden installiert. Jede Unterstützung für Terrorgruppen kann geahndet werden. Dazu zählt auch schon, humanitäre Güter in Rebellengebiete zu liefern oder an friedlichen Protesten teilzunehmen. Laut dem Gesetz ist "jede Handlung, die zum Ziel hat, Panik unter Menschen zu schüren, die öffentliche Sicherheit zu destabilisieren oder die Infrastruktur des Landes zu schädigen", Terror, wenn dazu "Waffen, Munition, Sprengstoff, entflammbare Materialien, giftige Stoffe, virale oder bakteriologische Faktoren oder jede andere Methode" angewandt werden. Die Formulierung "jede andere Methode" ist es, die es den Sicherheitsdiensten ermöglicht, alles nach Belieben als Terror zu qualifizieren.
Kundgebungen gibt es nicht mehr, seit jene gegen das Regime am Anfang des Krieges niedergeschossen wurden. Publikationen sind untersagt. Wo liegt da noch der Sinn in politischer Tätigkeit, wenn man Ausreiseverbote, Inhaftierung, Folter und Tod riskiert? "Wir können unsere Ideen nicht öffentlich äußern", sagt Nebras, ein Gesinnungsgenosse Davids. "Unsere Lage ist heute schlimmer als vor Beginn des Krieges", sagt er. Wie David lebt Nebras in Damaskus. Und so verrückt es klingen mag: Auch unter den brutalsten Umständen hat sich so etwas wie Routine eingestellt. Da ist zum Beispiel ein Faktor, den Nebras hervorhebt: "Das Regime verhaftet niemanden wegen seiner Religion, seiner ethnischen Zugehörigkeit oder wegen seines Lebensstils." Etwas, das islamistische Gruppen weitgehend praktizierten. Und, so sagt er, Folter, "Inhaftierung Andersdenkender ist nicht einzig ein Problem des Regimes, sondern aller kämpfenden Seiten".
Ohnmacht
In diesem Chaos an Brutalität und Gewalt sind es gerade Antimilitaristen in Syrien, die unter die Räder geraten – die das Land aber dringend bräuchte. Beide Männer berichten davon, dass sie mit ihren Ideen für Veränderung hin zu einem demokratischen Staat nicht mehr ankämen, dass die Menschen in Syrien keinen Unterschied mehr machten zwischen Terroristen und Opposition, zwischen Opposition und Regierung.
Und sie klagen, dass den Syrern die Entscheidungsgewalt über das Schicksal ihres Landes entrissen worden sei. Russland und die USA würden über die Zukunft Syriens entscheiden – und nicht die Syrer.
Muss man mit Assad, um dem „Islamischen Staat“ (IS) Herr zu werden? In Deutschland wird laut darüber nachgedacht, und immer mehr scheint man das so zu sehen. Ebenso in Frankreich. Selbst in den USA poppen immer wieder Anzeichen für eine mögliche Abkehr vom strikten Anti-Assad-Kurs auf. Und Russland hat diese Frage ohnehin vor allem durch Taten für sich selbst beantwortet und treibt damit alle vorab genannten Staaten vor sich her – diktiert zugleich aber auch ein Bild der Lage: Hier Assad und seine Armee als nach wie vor legitime Staatsmacht, dort die Terroristen. Zwischen IS, dem El-Kaida- Ableger Al Nusra oder gemäßigten Gruppen wird so gut wie nicht unterschieden. Und alltägliche Gruselmeldungen aus IS-Gebiet trüben dabei den Blick auf das alltägliche Grauen in Syrien.
Einfache Lösungen gibt es nicht mehr in diesem Krieg. Assads Armee gleicht eher einer alawitischen Miliz – gestützt auf Banden und Milizen. Haarsträubende Kriegsverbrechen werden – wie den allermeisten kämpfenden Fraktionen – auch diesen Kräften zugeschrieben. Von Flächenbombardements oder willkürlichem Artilleriebeschuss bis hin zu Kollektivbestrafungen ganzer Landstriche. Das gilt zum Teil auch für Rebellengruppen. Es ist aber nach wie vor vor allem die Armee, vor der die allermeisten Menschen in und aus Syrien fliehen. Und außerdem: Hauptgegner der Assad-Kräfte ist derzeit nicht der IS. Ihre härtesten Kämpfe tragen sie mit Rebellen unterschiedlicher Prägung aus.
Es ist viel eher eine Allianz zwischen kurdischen, christlichen und arabischen Gruppen, im Norden Syriens, die derzeit ganz reale Chancen hat, dem IS einen schweren Schlag zu verpassen – aber vor allem auch in ihrer Zusammensetzung eine mögliche Lösung für die Zukunft Syriens als multiethnischer Staat anbietet. Der Verband unter dem Namen „Syrische Demokratische Kräfte“ vereint moderate Rebellen, Stammesmilizen und kurdische Einheiten und hat lokale Nichtangriffsabkommen mit der syrischen Armee – und ihre Kämpfer stehen gerade einmal 35 Kilometer vor der IS-Hauptstadt Al Rakka.
Da ist aber vor allem ein Punkt: So unterschiedlich die Interessen der unterschiedlichen Rebellenverbände in Syrien gelagert sind - und dabei kommt es auch regelmäßig zu Kämpfen - einig sind sie sich in der Gegnerschaft gegen Assad. Wer sich also bedingungslos auf seine Seite schlägt, hat alle anderen gegen sich.