Politik/Ausland

Studentenheime als Bordelle?

Es ist nicht klar, was in gemischten Studentenwohnheimen vorgeht. Alles kann dort passieren“, sagte der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan. Sein Innenminister Muammar Güler wurde noch klarer. Das gemeinsame Wohnen von Burschen und Mädchen unter einem Dach sei die Keimzelle der Prostitution, des Terrorismus und der Kriminalität. Und überhaupt: Zum Schutz der Jugend und weil es „unseren konservativ-demokratischen Strukturen“ widerspräche, argumentierte Erdogan, müsse eine Geschlechtertrennung her. Das gelte im Übrigen auch für private Domizile.

Vergleich mit dem Iran

Seit diesem Vorstoß der Regierung, der teilweise wieder relativiert wurde, fegt ein Sturm der Entrüstung durch die Türkei. Die Opposition vergleicht Erdogan und sein Team mit den Pasdaran, den rigorosen iranischen Sittenwächtern, und wirft der Regierung eine illegitime Einmischung in die Privatsphäre sowie eine Vergewaltigung der Demokratie vor. Auch in Internet-Foren gehen die Wogen hoch.

Weiterer Vorwurf an den Premier, der Studentenwohnheime gleichsam unter Generalverdacht stellt: Damit seien der Bespitzelung und Denunziation Tür und Tor geöffnet. Tatsächlich fand sich an einer Wohnungstür zweier Studentinnen im religiös-konservativen Istanbuler Stadtteil Üsküdar ein Zettel mit folgender Aufschrift: „In diesem Appartement leben Mädchen und Burschen gemeinsam unter einem Dach. Ein solches Verhalten ist in unserem Gebäude nicht tragbar. Wenn Sie solche Personen sehen, informieren Sie die Polizei.“

Politische Beobachter vermuten hinter dem Kesseltreiben gegen Hochschüler zwei Motive. Erstens soll zu einem Schlag gegen regierungskritische Studenten ausgeholt werden, die mit ihren Protesten um den Gezi-Park im heurigen Sommer den Premier gehörig ins Wanken gebracht haben. Dieser hatte die Demonstranten als Marodeure und Banditen bezeichnet. Und zweitens hat Erdogan mit der Initiative das konservativ-islamische Wählerklientel im Blick. Hintergrund: Im März 2014 finden landesweit Kommunalwahlen statt – ein wichtiger Stimmungstest für die regierende AKP.

In diese Strategie passen auch die heuer erlassenen Verschärfungen den Alkoholverkauf und die Alkoholwerbung betreffend. Die Lockerung des Kopftuchverbotes ebenso. Frauen dürfen dieses nun auch in öffentlichen Gebäuden tragen, ausgenommen sind nur noch Justiz und Militär. Erst in der Vorwoche erschienen erstmals seit 14 Jahren vier Mandatarinnen im Plenum des Parlaments mit verhülltem Haar und sorgten so für einen Tabubruch.

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