Flüchtlingsverteilung: "Was wir haben, ist Chaos"
Die Flüchtlingszahlen steigen wieder – und in der EU wird weiter gestritten: Über die Verteilung von Flüchtlingen und die Reform des Asylsystems. Cecilia Wikström (52), liberale EU-Abgeordnete aus Schweden, fordert als Berichterstatterin des EU-Parlaments zur Dublin-Verordnung: „Wir brauchen ein organisiertes System. Denn was wir heute haben, ist Chaos.“
KURIER: Werden Pläne für eine Reform Ende Juni auf dem Tisch liegen? Wo spießt es sich?
Cecilia Wikström: Zwei Drittel der EU-Abgeordneten haben unserem Konzept zugestimmt. Aber wir warten noch immer auf eine gemeinsame Position der 28 EU-Innenminister. Wir werden sehen, ob das bis Ende Juni möglich ist. 2015 hat gezeigt: Das plötzliche Hereinströmen von 1,5 Millionen Menschen war nicht zu managen. Und nur wenige Staaten haben damals reagiert und Verantwortung übernommen, darunter Österreich. Laut der jetzt gültigen Gesetzeslage hätte Griechenland 2015 an die 1,5 Millionen Asylsuchende aufnehmen müssen – und 27 andere EU-Staaten hätten nichts gemacht. Das ist völliger Unsinn. Wir brauchen ein faires Asyl-System mit objektiven Kriterien – wie etwa dem BIP und der Zahl der Einwohner.
Nach diesem Schlüssel würde Deutschland die meisten Asylwerber aufnehmen müssen?
Deutschland würde viele aufnehmen, aber sicher nicht 800.000, wie es 2015 geschah. Griechenland müsste 15.0000 nehmen.Schweden hätte demnach 2016 nicht 161.000 Asylanträge bearbeitet, sondern etwa 40.000. Das hätte das System nicht über Gebühr belastet und die Integration wäre leichter gewesen.
Die meisten osteuropäischen Staaten wollen keine Flüchtlinge aufnehmen. Wie soll mehr Verantwortung aussehen?
Die Visegrad-Länder sagen: Nein, keine Flüchtlinge auf unserem Territorium. Aber dann müssen wir einen anderen Weg finden, wie sie dennoch beitragen können. Und: Warum sollten Mitgliedstaaten, die der EU freiwillig beitraten und die die Werte und Prinzipien dieser Union mittragen wollten, jetzt Rosinenpicken? Wenn man die Werte der EU nicht hochhält, warum sollte man dann Geld von der EU kriegen?
Wie würde die automatische Umverteilung von Asylsuchenden aussehen, die das EU-Parlament vorschlägt?
Sobald Griechenland seine Quote von 15.000 voll hat, müssen die anderen Flüchtlinge auf das restliche Europa aufgeteilt werden. Wir brauchen ja in Europa Zuwanderer, neue Steuerzahler für den Erhalt unserer Wohlfahrtssysteme.
Asylsuchende sollen sich nicht aussuchen können, wo sie hin gehen. Aber wer nimmt sie auf?
Eine Ausnahme wären Familienzusammenführungen: Wenn man etwa einen Bruder in Österreich hat, soll man dorthin. Wir reden hier nicht über Clans, sondern nur über Kernfamilien. Oder etwa wenn jemand fließend schwedisch spricht, dann sollte die Person nach Schweden. Das wäre leichter für den Integrationsprozess. Der Asylwerber muss sich aber im ersten EU-Staat, den er betritt, registrieren lassen. Dann kann er auswählen zwischen jenen vier EU-Staaten, die zu diesem Zeitpunkt im Verhältnis zu ihrem BIP und ihrer Bevölkerungszahl am wenigsten Asylwerber aufgenommen haben.
Und wenn die Asylwerber aber dort nicht bleiben wollen?
Wenn jemand sagt: Ich will nicht nach Litauen, sondern nach Österreich, und wenn er dann in Österreich auftaucht, verliert er die gesamte Unterstützung und verwirkt alle Ansprüche. Wenn man europäischen Gesetzen nicht gehorcht, muss man zurück in seine Heimat.
Was wird passieren, wenn sich EU die auf keine Lösung einigt?
Dann wird das Chaos weiter gehen. Dann sind wir in einer Grauzone. Wir müssen einfach vorankommen und ein funktionierendes Asylsystem etablieren. Die Menschen in Europa wollen und erwarten von uns eine Lösung für die Migrationsfrage.
Bis die Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, finanzielle Einbußen spüren, werden noch Jahre vergehen. Für eine Reform des Asylsystems aber drängt die Zeit...
Wir haben in der EU einfach für alles Regeln, für Pestizide, Nahrungsmittel, Klimaschutz, Wasser, Medizin... Warum bringen wir keine gemeinsame Gesetzgebung hin, wenn es um Asylsuchende geht, um Menschen, die vor Verfolgung fliehen? Diese Union ist kein Marktplatz, sie wurde auf der Asche des Zweiten Weltkrieges gegründet. Wir sagten, wir würden unsere Werte von Freiheit, Demokratie, Grundrechten teilen. Jetzt wenden sich Politiker von diesen Werten ab und zeigen mit dem Finger auf Flüchtende, als wären sie die Feinde. Diese Rhetorik hört sich an, wie etwas, das wir vor 75 Jahren hatten.
Gibt es in der EU heute einen Mangel an Solidarität ?
Oh ja, ich habe einen Premierminister sagen hören: Wir können ein paar Christen aus Syrien aufnehmen, aber kommt mir nicht mit Muslimen. Aber es gibt keinen Christenrechte oder Muslimrechte, Europa respektiert die Menschenrechte.