Frankreichs Staatschef kämpft mit Unruhen in der Bretagne und landesweitem Vertrauensverlust.
Bundespräsident Fischer, der am Montag für einen dreitägigen Besuch in Paris erwartet wird, trifft einen innenpolitisch extrem geschwächten französischen Staatschef. In der Region Bretagne beteiligten sich am Samstag Zehntausende Bauern, Fischer, Frächter, Fabrikanten und Arbeiter an der ersten, für die Linksregierung wirklich bedrohlichen Demonstration. Die zum Teil gewalttätigen Proteste, die sich gegen eine Lkw-Maut und gegen Betriebsschließungen richteten, gipfelten in dem Ruf: „Hollande Demission“.
Dabei ist die Bretagne eine Bastion der Sozialisten. Aber die Welle der Fabrikschließungen, die über Frankreich hinwegfegt, hat nun auch mit voller Wucht den bisher verschont gebliebenen westlichsten Zipfel des Landes erfasst: die gesamte Verarbeitungsindustrie für Agrar- und Fischereiprodukte kollabiert. Auf der Anklagebank der Bretonen steht die EU, der vorgeworfen wird, nichts gegen das Lohndumping namentlich der deutschen Schweinefleisch-Industrie und Billigimporte aus Übersee zu tun.
Als Auslöser der Unruhen fungierte die sogenannte „Öko-Abgabe“, der österreichischen Lkw-Maut vergleichbar, mit dem Unterschied, dass sie in Frankreich nicht für Autobahnen, sondern nur für Schnellstraßen gilt. Und genau diese Straßen bilden in der Bretagne das alternativlose Verbindungsnetz der wankenden Lebensmittel-Industrie. Die Regierung hat zwar in der Vorwoche die Maut, die im Jänner in Kraft treten hätte sollen, vorläufig aufgehoben, aber nicht „annulliert“, wie die Demonstranten fordern.
Dabei war diese „Öko-Abgabe“, die der Finanzierung alternativer Transportmittel dienen sollte, schon unter dem bürgerlichen Präsidenten Nicolas Sarkozy beschlossen worden. Das soziale Klima ist aber inzwischen derartig angespannt und der Steuerverdruss derartig angewachsen, dass jede neue Fiskalmaßnahme für die
Regierung zum Risiko wird. Zuletzt wurde deshalb eine Serie von bereits beschlossenen Steuern wieder gestrichen. Für diesen verworrenen Regierungskurs macht die Öffentlichkeit den Staatschef verantwortlich: Hollande sei ein Zauderer, der gar nicht wüsste, wo er hin will.
Das mag ungerecht sein, weil Hollande zweifellos ein sozialliberales und EU-kompatibles Reformprojekt verfolgt. Aber sein vorsichtiges Taktieren bietet den in ihrer Mehrheit pessimistischen Franzosen keinen Halt. Dazu kommt sein Mangel an Charisma. Seine TV-Auftritte geraten oft zu mühsamen Detailerklärungen. „Er redet, aber es bleibt nichts hängen“, konstatiert ein verzweifelter Berater.
Vor allem aber lastet auf Hollande die Staatsverschuldung, die auf 95 Prozent des BIP zurast. Paris hat sich gegenüber Brüssel verpflichtet innerhalb eines Jahres 15 Milliarden Euro einzusparen. Hollande darf aber durch diesen Kraftakt nicht die gerade erst anspringende, schwächliche Konjunktur gefährden. Sonst würde er sein deklariertes Ziel, die Eindämmung der Arbeitslosenrate von derzeit elf Prozent, verfehlen. Für diesen Fall liegt die Nationalpopulistin Marine Le Pen auf der Lauer. Sie hat auch schon die Lösung parat: Euro-Austritt, Schuldenschnitt, Industrieprotektionismus. Dann, so verspricht sie, wären die Erhöhung aller Niedriglöhne und der Rentenantritt mit 60 Jahren gesichert.