Politik/Ausland

GroKo-Krimi: SPD für Koalitionsverhandlungen

Die deutschen Sozialdemokraten haben sich auf ihrem Sonderparteitag in Bonn für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union entschieden. Eine Mehrheit von rund 56 Prozent der Delegierten machte am Sonntag nach einer kontroversen Debatte den Weg dafür frei. Beschlossen wurde auch die Forderung nach Nachbesserungen der bisher erreichten Sondierungsergebnisse in wichtigen Politikfeldern.

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Von 642 abgegeben Stimmen der Delegierten und stimmberechtigten Vorstandsmitglieder entfielen 362 auf Ja und 279 auf Nein. Es gab eine Enthaltung. Angesichts der knappen Mehrheit mussten die Stimmkarten ausgezählt werden, um das Ergebnis klar bestimmen zu können.

Schulz "erleichtert"

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SPD-Chef Martin Schulz kündigte den Unionsparteien einen harten Kurs bei den bevorstehenden Gesprächen an. "Wir sind natürlich alle erleichtert", sagte Schulz nach der Parteitags-Abstimmung dem TV-Sender Phoenix. "Wir werden nach dieser harten Diskussion, die wir hatten, versuchen müssen, die Partei zusammenzuführen." Der Parteichef will nun auf die Kritiker zugehen. "Wichtig ist, dass die SPD zusammenbleibt", erklärte er.

In den Verhandlungen selbst will Schulz noch weitere SPD-Positionen geltend machen. "Die Unionsparteien werden sich darauf einstellen müssen, dass die Koalitionsverhandlungen genauso hart werden wie die Sondierungsverhandlungen", erklärte der SPD-Chef. "Sondierungen sind kein Koalitionsergebnis", unterstrich er. In den nächsten Tagen werde die SPD nun mit den Unionsparteien sprechen und einen Zeitplan verabreden. "Und dann hoffe ich, dass wir zeitnah anfangen zu verhandeln." Die Große Koalition sei nach wie vor kein Selbstläufer.

Vor dem Votum war Schulz noch einmal ans Rednerpult getreten. Die dreistündige Debatte auf dem Sonderparteitag sei "ein Schlüsselmoment in der jüngeren Geschichte unserer Partei" gewesen, sagte er. "Ich finde, dass das ein stolzer Moment in der Geschichte der SPD war." An die Skeptiker gerichtet meinte er: "Man muss nicht um jeden Preis regieren, aber man darf auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen."

Ende der Verhandungen frühestens im Februar

Die Verhandlungen über eine Neuauflage der Großen Koalition können damit in den nächsten Tagen beginnen und im besten Fall bereits im Februar abgeschlossen werden. Danach muss aber noch eine hohe Hürde überwunden werden: Die mehr als 440.000 SPD-Mitglieder stimmen über den Koalitionsvertrag ab und haben damit das letzte Wort.

Juso-Chef Kühnert als Widersacher

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Schulz hatte in einer kämpferischen Rede für eine Große Koalition geworben. Sein schärfster Widersacher Kevin Kühnert hatte an die Genossen appelliert, trotz weitreichender Folgen nicht vor einem Nein zurückzuschrecken. Der Leitspruch des Juso-Chefs für die Abstimmung: "Heute einmal ein Zwerg sein, um künftig wieder Riesen sein zu können." Damit spielte er auf eine Aussage des CSU-Landesgruppenchefs Alexander Dobrindt an, der den Jusos einen "Zwergenaufstand" vorgeworfen hatte.

In der mehr als vierstündigen Debatte sprach sich eine knappe Mehrheit der etwa 50 Redner für eine Große Koalition aus. Die Befürworter kamen überwiegend aus der Parteiführung. Fast alle prominenten Sozialdemokraten sind für eine Große Koalition. Die leidenschaftlichste Rede hielt SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles. Die Bürger würden der SPD "den Vogel" zeigen, wenn sie sich trotz guter Sondierungsergebnisse für eine Neuwahl entscheide, sagte sie. In den Koalitionsverhandlungen könne noch mehr für die SPD herausgeholt werden. "Wir werden verhandeln, bis es quietscht auf der anderen Seite."

Nahles bekam für ihre kurze Ansprache deutlich mehr Beifall als Schulz, der eine Stunde redete. "Wir entscheiden heute letztlich auch darüber, welchen Weg unser Land und Europa gehen", sagte der SPD-Vorsitzende. Die Partei müsse "ohne Angst, ohne Scheu" Verantwortung übernehmen. "Ich bin davon überzeugt, dass der mutige Weg der richtige ist."

Jamaika scheiterte

Schon jetzt dauert die Regierungsbildung so lange wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Erst scheiterten im November die wochenlangen Sondierungsgespräche über eine Jamaika-Koalition an der FDP. Zu den Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD kam es erst nach einer Kehrtwende von Schulz, der sich ursprünglich auf die Oppositionsrolle festgelegt hatte. Hätte die SPD mit Nein gestimmt, wären nur eine Minderheitsregierung, eine Rückkehr zu den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition oder eine Neuwahl möglich gewesen.

Mit dem Votum verhinderten die Delegierten auch den Sturz der SPD in eine tiefe Krise. Für den Fall eines Nein war mit dem Rücktritt von Schulz gerechnet worden. Vor dem Parteitag war die Partei in den Umfragen bis auf 18 Prozent abgesackt.

Unionsspitzen beraten

Noch am Sonntagabend wollten die Spitzengremien von CDU und CSU über das weitere Vorgehen beraten. Das Ja der SPD dürfte auch in der Europäischen Union für ein Aufatmen sorgen. Brüssel und wichtige Partnerländer wie Frankreich warten darauf, dass eine neue deutsche Regierung EU-Reformen mit vorantreibt. Rechnet man den Wahlkampf dazu, so agiert die deutsche Regierung seit einem Jahr nur noch mit angezogener Handbremse. Seit Monaten ist sie geschäftsführend im Amt.

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