Politik/Ausland

Gabriel, der Wackelkandidat

Die Selbstinszenierung, die kann er wirklich. Als Sigmar Gabriel vor der imposanten Goslarer Kaiserpfalz aus der schwarzen Limousine steigt, tief gebräunt, im schwarzen Sakko, sieht er richtig staatsmännisch aus. Die Journalisten, die ihn auf seiner traditionellen Sommerreise begleiten, bilden flugs eine Traube um ihn; er fühlt sich wohl hier, er ist dort, wo er sich auskennt. In seiner Heimat.

"Willkommen im historischen Zentrum Deutschlands", sagt er mit breitem Lächeln. In Goslar, einer verschlafenen 50.000-Einwohner-Stadt im Mittelgebirge, scheint die Welt noch in Ordnung. Man sieht Pensionisten in beigen Jacken, junge Paare mit Kinderwägen, und in den Cafés in den Fachwerkhäusern bekommt man einen "Pott Kaffee" statt Latte Macchiato. Gabriel, der "hier in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen ist", wie er erzählt, hin und hergerissen zwischen den Eltern, kam immer wieder gern zurück; vor vier Jahren zog er sogar wieder her mit Frau und Tochter. Er wolle ja nicht den Fehler begehen, das, was rund um den Reichstag passiere, für Deutschland zu halten. "Ich bin ein bekennender Provinzler", sagt er, und die Menge lacht.

Wenn Gabriel so dasteht und etwas oberlehrerhaft über die Geschichte der Kaiserresidenz doziert, könnte man glauben, auch seine Welt sei völlig in Ordnung. Der SPD-Chef hat ein paar Tage Urlaub hinter sich, und man merkt ihm kaum etwas an von seinen Berliner Sorgen. Dass die Umfragewerte schlecht sind, dass die Frage, ob er gegen Merkel antritt, noch immer unbeantwortet ist, und dass sein Status als Parteichef schon wieder öffentlich verhandelt wird, darüber will er heute nicht reden.

Stichtag 19. September

Ist ja auch noch ein bisschen Zeit, könnte man sagen, die nächsten Bundestagswahlen stehen ja erst 2017 an. Die boshaften unter seinen Kritikern sind da etwas genauer. Für sie dauert es nur mehr sechs Wochen bis zum Showdown, bis zum 19. September, nach den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, wo die SPD prognostizierte Niederlagen einfahren wird. Dann trifft die Partei sich zum Konvent in Wolfsburg, um über CETA abzustimmen – und, gut möglich, auch über Gabriel.

Das Freihandelsabkommen mit Kanada, das er gegen den Willen seiner Partei vorantreibt, ist ein ähnlich großer Mühlstein für ihn wie die Rüstungsexporte, die er zwar minimieren will, die aber wachsen, oder die Fusion der Lebensmittelriesen Edeka und Tengelmann, wo er sich geheim mit Firmenvertretern traf. Hier kollidiert das, was auch schon für Gerhard Schröder schwierig war: Sein Herz links tragen und zeitgleich Genosse der Bosse sein, geht auf Dauer nicht gut.

Dass er oft mäandert, gern groß ankündigt, aber ungern übers Einhalten redet, nervt viele Genossen. So sehr, dass sie ihm den Spitznamen Mister Zickzack gaben. In Goslar hat das eine spezielle Note. Hier versprach er, mittwochs seine kleine Tochter immer von der Kindertagesstätte abzuholen. Eine Ankündigung, die schon für normal Berufstätige nicht immer einfach ist; von einem Vizekanzler, der 300 Kilometer entfernt arbeitet, nicht zu reden.

Wie oft er das wirklich macht, ist ungewiss. "Oft sieht man ihn nicht hier", sagt einer der Taxifahrer vor dem Bahnhof, "aber jeder kennt sein Haus hier, das ist schwer bewacht." Ob das auch für die Jugendlichen gilt, die sich ein paar Meter neben ihm und seinen Personenschützern bei der Kaiserpfalz um eine Bierkiste gruppiert haben, ist eher unwahrscheinlich. Sie lachen, trinken und ignorieren Gabriel, während der – umgeben von Kameras – seine persönliche Geschichtsstunde gibt. Er erzählt, dass er hier als Jungsozialist gegen Franz Josef Strauß demonstrierte, dass seine Freunde ihn auslachten, als er sagte, dass er für die SPD kandidieren werde, um die Goslarer zu vertreten. Der dazu passenden Frage, ob er nicht auch als Kanzler für die Menschen hier arbeiten wolle, entgeht er dezent. "Die wählen hier ja alle die SPD, damit ich nicht zurückkomme", sagt er lachend und fügt schnell hinzu, dass eine Rückkehr aber durchaus möglich wäre. Er könne nämlich jederzeit wieder als Lehrer hier arbeiten, wenn er wollte, so wie früher; sein Arbeitsvertrag sei seit Jahren "nur ruhend gestellt".

"Wenn alles schiefgeht", sagt er noch dazu. Ob das Fatalismus ist oder eine leise Drohung, vielleicht doch lieber hinzuschmeißen, das weiß man nicht so genau. Die Selbstinszenierung, die kann er halt gut.

Bundeskanzlerin Angela Merkel erhält von den Deutschen so wenig Zustimmung zu ihrer Flüchtlingspolitik wie nie zuvor. Nur 34 Prozent finden den Kurs laut Dimap-Umfrage für den ARD-Deutschlandtrend richtig. In der Folge sind auch die Zustimmungswerte für Merkel selbst erheblich gesunken. Die CDU-Vorsitzende sackte im Vergleich zum Vormonat um zwölf Punkte auf 47 Prozent Zustimmung ab, der zweitschlechteste Wert in dieser Legislaturperiode. Dagegen legte CSU-Chef Horst Seehofer um elf Punkte auf 44 Prozent zu.