SP-Klubchefs: "Renaissance der Sozialdemokratie"
Andreas Schieder und Thomas Oppermann verbindet die Begeisterung für das Wandern und der Wunsch nach einer stärkeren parlamentarischen Zusammenarbeit in der EU. Der SPD-Fraktionschef besuchte diese Woche seinen Kollegen in Wien. Im Interview nehmen sie auch zu EU-Fragen und zur Krise der Sozialdemokratie Stellung.
KURIER: Kürzlich bei der Wahl in Finnland landeten Sozialdemokraten an vierter Stelle. Was ist los mit der Partei?
Thomas Oppermann:Wir müssen die Finanzmärkte bändigen und die Realwirtschaft stärken, das ist unsere Antwort. Viele Menschen hatten in der Krise das Gefühl, die Regierungen retten die Banken. Das war Treibstoff für den Populismus in Europa. Ich sehe aber auch eine Renaissance der Sozialdemokratie: In Italien macht Matteo Renzi sehr erfolgreiche Reformpolitik. Und in Großbritannien wird Ed Miliband von der Labour Party nach der Wahl am 7. Mai wohl neuer Premier.
Andreas Schieder: Wir habe eine Phase erlebt, wo viele gesagt haben, sozialdemokratische Werte sind Allgemeingut oder hätten sich überlebt, das hat zu einer unpolitischen Haltung geführt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Heute sehen wir, dass die deregulierten Finanzmärkte Chancen nehmen, wir sind international mit dem IS-Terror konfrontiert. Die Herausforderung für die Sozialdemokratie ist die neue Phase der Industrialisierung, Stichwort Industrie 4.0 und damit die Frage, wie wir den sozialen Zusammenhalt organisieren und ein Bildungssystem, das niemanden zurücklässt.
Oppermann: Wir sehen in der Digitalisierung riesige Chancen. Der Prozess muss aber so gestaltet sein, dass das Gemeinwesen intakt bleibt.
Sie sind für eine soziale Leistungsgesellschaft?Oppermann: Unbedingt. Wir brauchen eine leistungsfähige Volkswirtschaft, wenn wir wollen, dass alle am Wohlstand teilhaben können. Ein funktionierender Staat sichert die Schwachen ab und schafft gleiche Lebenschancen für alle etwa durch gut Bildung. Gleichsein in der Armut ist nicht unser Ziel.
Der Wohlstand ist heute aber nicht mehr garantiert?
Schieder: Der Nachkriegskonsens, es wird allen immer besser gehen, es wird von allem mehr geben, ist nicht mehr haltbar. Die gerechte Verteilungsfrage rückt ins Zentrum. Jetzt geht es von der Umwelt- bis zur Arbeitsfrage um eine neue Verteilung.
Themenwechsel Griechenland: Kommt es zum Grexit?
Schieder: Griechenland braucht eine Wachstumschance. Es geht nicht darum, ob man ökonomisch den Grexit verkraftet. Es geht um die politische Frage.
Oppermann: Politisch wäre der Grexit ein Desaster. Wenn wir ein solches Problem nicht lösen können, ist das eine Schwäche der ganzen EU, nicht nur der Eurozone. Griechenland braucht ein intaktes Staatswesen, das in der Lage ist, den Investoren Sicherheit zu geben und bei allen die notwendigen Steuern einzutreiben.
Wie sehr beeinflussen Hypo-Streit und Maut die Beziehung zwischen Wien und Berlin?
Oppermann: Es gab einen U-Ausschuss im bayerischen Landtag, der die schweren Versäumnisse in Bayern aufgearbeitet hat. Da wurden Milliarden versenkt. Das war Größenwahn und Hybris und ein unbeirrbarer Glaube an die Finanzmärkte. Das ist für mich keine Belastung zwischen Deutschland und Österreich.
Schieder: Österreich wird seine Interessen wahren und gegen die Maut klagen. Das Gute an Europa ist, dass es einen Rechtsrahmen gibt.
Oppermann: Diese Maut darf niemanden diskriminieren. Am Ende werden die Gerichte entscheiden. Die Maut ist keine Erfindung der SPD, sie ist das Prestigeprojekt der CSU. Wir mussten im Koalitionsvertrag diesen Kompromiss machen, sonst hätten wir nicht die gesetzliche Frauenquote in Aufsichtsräten und den gesetzlichen Mindestlohn durchsetzen können.
Schieder: Am Ende werden Frauenquote und Mindestlohn bleiben, die Maut wird europarechtlich nicht halten.
Wird sich Österreich bei TTIP durchsetzen?
Oppermann: Wir wollen ein Handelsabkommen, in dem EU-Standards nicht gesenkt, die öffentliche Daseinsvorsorge nicht privatisiert, der Schutz für Arbeitnehmer aufrecht bleibt und die Justiz nicht durch Schiedsgerichte privatisiert wird. Daran werden wir TTIP messen. Wenn es nicht gelingt, uns mit den Amerikanern zu verständigen, werden andere Staaten die Normen in der globalen Welt bestimmen. Es ist die letzte Chance für Europa, nachhaltig Einfluss auf die Normen der Weltwirtschaft zu nehmen.
Schieder:Ich bin kritischer als Oppermann. Es gilt zu hinterfragen, was der Nutzen von TTIP ist. Wir werden nicht hinnehmen, dass durch Schiedsgerichte, nationale politische und gesetzliche Entscheidungen ausgehöhlt werden, dass soziale Standards unterlaufen werden. Das ist die wichtige Nachricht für den Staatsbürger.
In Österreich startete gerade der Hypo-Untersuchungsausschuss mit Problemen. Warum läuft es in Berlin besser?
Oppermann: Auch bei uns funktioniert es nicht immer reibungslos. Man muss den Doppelcharakter der U-Ausschüsse erkennen: Sie sind einerseits Instrumente des gesamten Parlaments, um Sachverhalte aufzuklären und die Regierung zu kontrollieren. Andererseits sind Untersuchungsausschüsse auch Kampfinstrumente der Opposition. Österreich hat die Reform erst eingeführt. Es wird etwas dauern, bis sich ein vernünftiges Miteinander in der Praxis der Ausschüsse entwickelt.
Schieder: Wir haben uns stark am deutschen Modell orientiert. Ich bin überzeugt, dass sich die sachorientierte Kultur auch bei uns einspielen wird.