Politik/Ausland

Überlebenskampf im Senegal wird immer härter

Knietief watet "Messi" durch die Brühe. Hinter sich her zieht der Bub mit dem Trikot des argentinischen Fußballstars ein selbst gebasteltes Boot, in das er tote Fische gelegt hat. Neben ihm hat eine bunte Piroge (Fischerkahn) angelegt, um den Fang an Land zu bringen. Auf ihren Köpfen tragen Männer die Meerestiere in bereitgestellte Tiefkühl-Laster – vorbei verwesenden Fischen, an denen sich Millionen von Fliegen delektieren. Der Gestank in dem senegalesischen Dorf Guetndar ist bestialisch, die Stimmung überaus aggressiv.

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Denn der Überlebenskampf ist härter geworden, es gibt zu wenig Fisch in den Gewässern vor der Küste. "Meine Familie ist seit 400 Jahren auf dieser Insel (vor der Küstenstadt St. Louis; siehe Karte), aber jetzt können wir von dem Einzigen, das wir gelernt haben, nicht mehr leben", sagt Cheik Sidate Dieye. Das Hauptproblem sei die Überfischung durch internationale Flotten, aber auch der steigende Meeresspiegel infolge der Klimaerwärmung, erläutert der 64-Jährige. Dadurch würde das lang gezogene Eiland immer schmäler, der Lebensraum enger, die Perspektive dünner.

Einige sehen in dieser Situation nur eine Alternative: Ab nach Europa. "Ganze Familien haben sich schon in eine Piroge gesetzt und die gefährliche Überfahrt Richtung Spanien gewagt. Für viele endete das tödlich, auch aus meinem Clan sind dabei schon 20 Menschen gestorben", so der angesehene Cheik. Trotz der Unbill will er bleiben, weil seine Ahnen hier bestattet sind. Und er wird nicht müde, die anderen Bewohner des Fischerdorfes zu überzeugen, sich den Herausforderungen zu stellen: "Wir müssen uns umorientieren und ein neues Handwerk lernen", sagt er, "auch wenn das nach so vielen Jahrhunderten sehr schwerfällt."

Mit Problemen ganz anderer Art kämpfen die Menschen im Landesinneren. Die Sahara breitet sich aus, die Regenzeit fällt oft dürftig aus, die Erträge in der Landwirtschaft schwinden, die Familien verarmen und hungern: Jeder Zweite der 13 Millionen Einwohner muss mit 1,5 Euro pro Tag das Auslangen finden, jeder Fünfte ist mangel- oder unterernährt.

47 Grad im Schatten

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Das Dorf Korkadie am Senegalfluss, der hier die Grenze zu Mauretanien bildet. Mustafa Mbaye, 42, sitzt mit seiner Frau Aissatou Dem, 31, und den sechs Kindern vor seiner kleinen strohgedeckten Lehmhütte auf dem Boden. Heißer Wüstenwind, der alles mit einer feinen Sandschicht überzieht, hat die Quecksilbersäule auf die 47-Grad-Marke getrieben. Nur die mächtigen Affenbrotbäume (Baobabs) und ein paar widerstandsfähige Stauden trotzen dieser unerträglichen Hitze. "Soudure" nennen die Menschen hier die Periode vor und während der demnächst beginnenden Regenzeit, das bedeutet "Durchhaltezeit", wenn die Ernte des Vorjahres zur Neige geht und die neue noch nicht eingebracht ist. Dann kocht Aissatou Dem nur eine kleine Schüssel Reis pro Tag – oder gar keine. Und wenn sich ihr Mann Mustafa nicht auswärts als Tagelöhner am Bau verdingen würde – für den harten Job unter der sengenden Sonne erhält er gerade einmal drei Euro pro Tag –, würde die Familie gar nicht über die Runden kommen.

Seit sich die Landwirte der Region in einer Kooperative zusammengeschlossen haben, geht es aber bergauf. "Die Genossenschaft zahlt ihren 35.000 Mitgliedern höhere Preise für deren Produkte, hier vor allem Reis und Hirse. Wenn die Marktpreise im Keller sind, also unmittelbar nach der Ernte. Sie lagert die Ware in eigens errichteten Hallen und verkauft sie, wenn die Preise wieder anziehen", sagt Christoph Schweifer, Chef der Auslandshilfe der österreichischen Caritas, der soeben im Senegal war. Im Rahmen des Projekts, das von der Caritas unterstützt wird, erhalten die Kleinbauern auch spezielles, an die Hitze angepasstes Saatgut, Schulungen für einen effizienteren Anbau und Kredite zu günstigen Konditionen.

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Das alles bewahrt die Menschen vor einem Schicksal wie dem des kleinen Sada. Seit einem Monat schon ist der Eineinhalbjährige mit seiner Mutter Houreye Mamadou Kane im Ernährungszentrum Orou Sogui, und der Bub wiegt gerade einmal 5,3 kg. "Wir hatten viel zu wenig zu essen, deswegen hatte ich nicht genug Milch, um meinen Sohn zu stillen. Und dann bekam er auch noch Malaria", sagt die 25-Jährige. Jetzt wird der Kleine aufgepäppelt. Seine Chancen stünden nicht schlecht, so Chefpfleger Cherif Kama, "aber pro Monat verlieren wir ein bis zwei Kinder." Sagt es und wendet sich der kleinen Fatima (27 Monate, 7 kg) zu, um wenigstens diesen Überlebenskampf zu gewinnen.

Der österreichische Caritas-Präsident Michael Landau kam soeben von einem Senegal-Besuch zurück und zeigte sich "unglaublich traurig und wütend zugleich". Er habe diese bis auf die Knochen abgemagerten Kinder gesehen und werde sie nie mehr vergessen. "Das Skandalöse am Hunger ist, dass er vermeidbar wäre", so der Kirchenmann, der auf eine erschütternde Zahl hinweist: "Weltweit stirbt alle zehn Sekunden ein Kind an Hunger oder dessen Folgen."

Landau will sich mit diesem Missstand aber nicht abfinden und nimmt die österreichische Politik in die Pflicht. "Wenn die geplanten Kürzungen bei der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit nicht zurückgenommen werden, machen sich die Verantwortlichen mitschuldig am Tod dieser Kinder." Hintergrund: 17 Mio. Euro (mehr als 20 Prozent dieses Budgetpostens) sollen gestrichen werden.

In einem Brief, der auch an die Mitglieder der Bundesregierung und an Staatspräsident Heinz Fischer erging, richtete der Caritas-Präsident einen dringenden Appell an alle 183 Parlamentsabgeordneten, die Sache nochmals zu überdenken: "Niemand kann Sie zwingen, Kindern das Leben wegzusparen."

Um sieben Uhr Früh steht er auf und verlässt mit seiner kleinen Plastikschale das Haus des Marabuts, des Islam-Gelehrten, um sich auf den Straßen der senegalesischen Küstenstadt St. Louis sein Frühstück zusammenzubetteln. Bis 13 oder 14 Uhr erhält der Koranschüler Cherif Cisse von seinem Meister Unterweisungen rund um das Buch des Propheten. Dann zieht der 20-Jährige wieder aus, um sein Mittagessen "einzusammeln". Auch nachmittags steht das Studium der Suren im Mittelpunkt.

"Es ist hart", so der Koranschüler, der mit 13 Jahren zu seinem Marabut kam, "nur zu den großen Festen dürfen wir nach Hause fahren. Aber immerhin schlägt er uns nicht."

Seine karge Freizeit verbringt Cherif Cisse im Tageszentrum der Caritas, die sich um Straßenkinder, vor allem um die Talibes, wie die Koranschüler im Senegal genannt werden, kümmert. Hier kann er sich und seine Wäsche waschen, Tischfußball spielen oder fernsehen.

"Wir betrachten diesen geschützten Raum als Haus des Zuhörens", sagt Pape Demba Fall, der Verantwortliche der Caritas, die von der österreichischen Partnerorganisation unterstützt wird. Und die Geschichten, die der Mann erzählt bekommt, sind oft traurig. "Viele Talibes werden geschlagen, sie müssen auf engstem Raum schlafen, sind gesundheitlich angeschlagen, weil sie verdorbenes Essen bekommen, und es passiert immer wieder, dass sie von älteren Koranschülern sexuell missbraucht werden." Manche würden wie Sklaven gehalten und dürften nur zum Betteln (auch Geld) das Haus verlassen.

6000 Talibes gibt es in St. Louis, im ganzen Land sind es laut Schätzungen mehrere Hunderttausend im Alter zwischen vier und 25 Jahren. Zu 75 Prozent stammen sie aus extrem armen Familien. "Meist sind das kleine Subsistenzbauern, die 12 bis 15 Kinder haben und diese nicht ernähren können", erläutert Pape Demba Fall, der früher selbst Koranschüler war: "Ich kenne das Leid dieser jungen Menschen und versuche es – so gut es geht – zu lindern."

Hunger Weltweit haben 842 Millionen Menschen zu wenig zu essen. Im Senegal sind 27 Prozent der Kinder unter fünf Jahren mangel- oder unterernährt – ein Hauptgrund, warum in der Region jedes 8. Kind keine 5 Jahre alt wird.

Die Caritas hilft Die Caritas unterstützt Projekte im Senegal und in anderen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas und bittet um Spenden.