Neue Regeln für dichte Grenzen
Es war eine heikle Abwägung: Auf der einen Seite die Reisefreiheit im Schengen-Raum, eines der zentralen europäischen Projekte; auf der anderen die Sorge einzelner Staaten vor einem Missbrauch der offenen Grenzen, oft befeuert durch innenpolitisch oder wahltaktisch motivierte Schreckensszenarien.
Nach zwei Jahren haben sich die EU-Mitgliedsstaaten mit dem Parlament und der Kommission nun auf eine Reform des Schengen-Systems geeinigt: Die Staaten haben künftig die Möglichkeit, bei einem „massiven Flüchtlingsansturm“ die Grenzen für maximal zwei Jahre wieder dicht zu machen.
Schon bisher war es möglich, nach Terroranschlägen oder während internationaler Konferenzen oder großen Sportveranstaltungen (z. B. Olympische Spiele, Fußball-EM oder -WM) vorübergehend wieder Grenzkontrollen einzuführen. Jedes Land konnte darüber eigenständig entscheiden, das soll für die genannten Fälle auch so bleiben.
Katastrophen-Fall
Die „normale Migration“ zwischen den Mitgliedsstaaten, auch wenn sie von Armut oder Not in einem Land ausgelöst ist, soll aber kein Grund für temporäre Grenzkontrollen sein.
Anders ist das, wenn ein Staat überfordert ist bzw. zu wenig unternimmt, um die Schengen-Außengrenze zu sichern. Wenn Länder also „ihre Hausaufgaben nicht erfüllen“, wie Innenministerin Johanna Mikl-Leitner sagt: „Bis jetzt waren wir hier zahnlos“, künftig habe man für solche Fälle eine Handhabe.
Arabischer Frühling
Anstoß für die Reform war der Flüchtlingsstrom nach dem „Arabischen Frühling“: Frankreich wollte 2011 seine Grenze zu Italien wieder dicht machen, weil viele Flüchtlinge aus Nordafrika ins Land kamen.
Gut in Erinnerung ist in Brüssel auch, dass die dänische Regierung 2011 im Wahlkampf wegen „grenzüberschreitender Kriminalität“ Kontrollen an den Grenzen zu Schweden und Deutschland einführen wollte.
Um Schengen nicht zum Spielball von Wahlkämpfen oder innenpolitischem Populismus werden zu lassen, wird die Wiedereinführung von Grenzkontrollen künftig gemeinsam entschieden. Die EU-Kommission schlägt vor, wie lange Grenzen dicht gemacht werden. Eine qualifizierte Mehrheit (Mehrheit der Staaten, muss 62 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren) der Innenminister kann dann jeweils um sechs Monate verlängern, bis das Maximum von zwei Jahren erreicht ist.
Formal beschlossen wird die Schengen-Reform kommenden Freitag von den EU-Innenministern und im September vom Parlament. Spätestens im Herbst 2014 sollen alle neue Regeln wirken.
Der Schengen-Raum
Abkommen
Mit dem Schengener Abkommen wird die Reisefreiheit in der EU geregelt. Den Anfang machten 1985 Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg und die Niederlande. Mittlerweile gehören 22 EU-Mitglieder sowie Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein dazu. Der Schengen-Raum umfasst 400 Millionen Einwohner.
Erweiterung
Bulgarien und Rumänien (seit 2007 EU-Mitglieder) wollen Schengen beitreten. Es gibt keinen Zeitplan, u. a. ist Deutschland strikt gegen eine Aufnahme der beiden Staaten.