Politik/Ausland

Wenn der Lachs das Dreifache kostet

Das nötige Kleingeld vorausgesetzt – wir reden von einem Monatseinkommen ab 80.000 Rubel, das sind umgerechnet 1850 Euro – hatten die Moskowiter in hauptstädtischen Gourmet-Tempeln bisher die Qual der Wahl: Roquefort oder Gorgonzola, Parma- oder Serrano-Schinken, norwegischen oder schottischen Räucherlachs? Produkte des einstigen imperialistischen Klassenfeindes, wie sie die meisten zu Sowjetzeiten nur vom Hörensagen kannten, türmten sich schon kurz nach Ende der kommunistischen Mangelwirtschaft in den Regalen.

Seit Donnerstag ist Schluss mit lustig. Als Retourkutsche für westliche Sanktionen wegen Russlands Position in der Ukraine-Krise beschlossen Kreml und Regierung ein Importverbot für Lebensmittel aus der EU, den USA, Kanada und Norwegen.

Noch allerdings buhlen im Kühlregal nach wie vor mehrere Dutzend Joghurt-Sorten um Käufergunst, auch an der Theke herrscht die lieb gewordene Vielfalt. Wie es dagegen in den Vorratskammern von Supermärkten und Großhändlern aussieht, wissen nur Lageristen und Verkäufer.

"Ein paar Wochen haltern wir schon durch", sagt Anastassija. Die wasserstoffblonde Endzwanzigerin ist Marken-Managerin. Angst um ihren Job hat Marija nicht. "Und Putin weiß, was er tut. Unser Präsident hat vorher alle möglichen Varianten durchspielen lassen."

Die Kunden sehen das ähnlich gelassen. Von Hamsterkäufen und Panik wie in der Perestroika oder bei diversen Krisen in der Jelzin-Ära ist bisher nichts zu merken. Und die Gespräche der Wartenden drehen sich um alles Mögliche, nur nicht um das vermeintliche Menschenrecht auf frische Erdbeeren im Jänner, obwohl es den meisten heiliger ist als das auf Meinungsfreiheit.

Vom Shitstorm in sozialen Medien einmal abgesehen – "Patriotismus statt Parmesan, nein danke!" – kritisierten viele an dem Embargo nur, dass es längst überfällig gewesen sei. "Der Westen", echauffiert sich Inna, Besitzerin eines Schönheitssalons, der auch Ratschläge für gesunde Ernährung gibt, "hat uns jahrelang systematisch vergiftet". Nitrat-Belastung und Salzgehalt von Frischwurst made in Europa seien grenzwertig. Was Inna in ihrem Zorn verdrängt: Auch in russischer Wurst – und davon gibt es in der Tat inzwischen Dutzende gute Sorten – steckt jede Menge polnisches Fleisch. Das wird die Masse noch merken. Denn russische Landwirte sind, darüber herrscht bei Experten Einigkeit, so bald nicht in der Lage, den Bedarf zu decken. Weder bei Fleisch noch bei Milch. Sie produzieren nicht nur zu wenig, sondern auch zu teuer. Schuld ist das russische System der Zwischenhändler, das westliche Lebensmittelkonzerne und die EU-Landwirte bisher die russische Konkurrenz vom Markt fegen ließ.

Suche nach Fleisch

Viel Zeit bleibt der Regierung nicht. Verhandlungen mit Südafrika, der Türkei, Brasilien und vor allem Argentinien laufen daher auf Hochtouren. Mit dem Russland-Geschäft, so hofft Buenos Aires, lasse sich auch der eigene Staatsbankrott abwenden. "Bei uns", sagte ein argentinischer Exporteur im Fernsehen, "herrscht das gleiche milde Klima wie in Südrussland. Wir können daher alles liefern. Außer Schweinefleisch." Doch da steht Brasilien schon als Lieferant in den Startlöchern.

Russland größtes Problem ist aber nicht der Ersatz für europäische Lebensmittel, sondern der Appetit der einheimischen Agrarlobby, die schon kräftig an der Preisspirale dreht. Der Fischkonzern Russkoje More verlangt für ein Kilo frischen Lachs in Moskau bereits 600 Rubel (12 Euro) und damit das Dreifache wie bisher.

In der russischen Duma werden täglich Gesetze aller Art verabschiedet. Nicht selten passiert es, dass Abgeordnete die skurrilsten Gesetzesvorschläge hervorbringen und nicht wenige davon auch tatsächlich in Form von „Moralgesetzen“ durchgesetzt werden.

So hat der russische Abgeordnete Roman Khudyakow der Oppositionspartei LDPR vorgeschlagen, den Einhundert-Rubel Schein neu zu gestalten. Grund dafür war nicht das langweilige Motiv, sondern vielmehr die „Unsittlichkeit“ des griechischen Gottes Apollo, dessen Geschlechtsteil völlig unbedeckt auf dem Schein abgebildet ist. Die Originalstatue des Apollo am Bolschoi-Theater in Moskau wurde bereits 2011 an entsprechender Stelle mit einem Lorbeerblatt verdeckt. Auch das Abbild des Hl. Georg auf dem Moskauer Wappen soll strafrechtlich vor Unsittlichkeit geschützt werden und darf in Zukunft nicht mehr in Verbindung mit schmuddeligen Filmen, Gewalt oder vulgärer Sprache gebracht werden.

Passend dazu verabschiedete die Duma am 2. Juli das „Gesetz zum Verbot nicht normativer Lexik“, das vorsieht, Schimpfwörter in Filmen und Medien zu verbieten. So können Filmemacher und Theaterregisseure künftig mit bis zu umgerechnet 1000 Euro belangt werden, wenn ihre Stücke Flüche enthalten.

Am 1. Juli trat ein Gesetz in Kraft, das einen Mindestbaumwollanteil von sechs Prozent bei Unterwäsche vorschreibt. Unterwäsche aus Spitze ist somit verboten. Begründet wurde das Gesetz mit der Sorge um den weiblichen Intimbereich, da synthetische Fasern Hautirritationen hervorrufen würden. Viele Frauen in Russland und im benachbarten Kasachstan gehen seitdem auf die Straße und demonstrieren für die „Freiheit für die Unterhose“.

Auch auf die gegen Russland verhängten Sanktionen hatte Moskau eine skurrile Antwort parat: So wurde nach dem Einfuhrverbot von Gemüse, Obst, Milchprodukten etc. nun auch der Import von Ziegen-Sperma und das diverser anderer Zootiere beschlossen. Alexandra Koller