Politik/Ausland

Anklage gegen Soldatenmutter

Es gibt Dinge, auf die reagiert Moskau allergisch: Etwa auf Berichte von Menschenrechtsgruppen zu russischen Soldaten, die in die Ostukraine abkommandiert wurden, um die Separatisten im Kampf gegen die "Kiewer Junta" zu unterstützen, und die dort gefallen sind. Bisher beließen es Kreml und Regierung bei Drohungen und Einschüchterungsversuchen.

Am Dienstag aber wurde bekannt, dass die Behörden eine 73-jährige und gesundheitlich angeschlagene Vertreterin des Kreml-kritischen Komitees der Soldatenmütter festnahmen: Ljudmila Bogatenkowa. Sie war eine der Ersten, die vom Tod russischer Rekruten in der Ostukraine berichtet hatte.

Zwar wurde sie auf Kaution freigelassen. Die Anklage bleibt aber aufrecht. Der Vorwurf: Betrug. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Dabei nannten die Soldatenmütter Namen von 400 Russen, die in der Ostukraine verletzt oder getötet wurden.

Auch Ella Poljakowa, Chefin der Soldatenmütter von St. Petersburg, forderte Aufklärung. Ihrem Schreiben an das Verteidigungsministerium lag eine Liste mit Dutzenden Namen Verwundeter und Vermisster bei. Die Antwort fiel militärisch knapp aus: die Vorwürfe seien Panikmache und Hysterie. Sie möge sich künftig gefälligst an Fakten halten, anderenfalls müsse sie mit Konsequenzen rechnen.

Konsequenzen wurden auch Journalisten angedroht, die im nordwestrussischen Pskow zu heimlichen Beisetzungen von Soldaten der dort stationierten 76. Fallschirmjägerdivision recherchiert hatten. Die Zinksärge der Toten wurden bei den Trauerfeiern nicht einmal für die Hinterbliebenen geöffnet. Die Angehörigen wurden zum Schweigen vergattert. Und den Journalisten stellten dann junge, ausgesprochen kräftig gebaute Herren ein Ultimatum: Abreise mit dem Sechs-Uhr-Zug oder Tod in den Sümpfen.

Kreml und Staatsfernsehen dementierten nach Kräften. Erst im September, als die Beweislast erdrückend wurde, rangen sich Putins Propagandisten zu einer Halbwahrheit durch. Es gebe in der Tat russische Gefallene, doch das seien Freiwillige, etwa Soldaten, die sich für den Kampf aufseiten der Separatisten hätten beurlauben lassen.

Finaler Schlag

Vom kollektiven nationalen Rausch ermutigt, holt Putin offenbar zum finalen Schlag gegen Kritiker aus. Akut von der Zwangsauflösung bedroht ist inzwischen sogar "Memorial": Russlands älteste und angesehenste Menschenrechtsorganisation, die sich auch für die Aufarbeitung der Verbrechen der Stalin-Diktatur einsetzt, einem Staatsmodell, dem Putins Reich zunehmend ähnlich wird.

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"Memorial" besteht aus Dutzenden Netzwerken, dem Dachverband wird vorgeworfen, seit 2012 gegen Vorschriften zur Organisationsstruktur verstoßen zu haben. Gemeint ist vor allem ein Gesetz, das nichtstaatliche Organisationen, die mit westlichen Fördermitteln arbeiten, verpflichtet, sich in ein Register "ausländischer Agenten" eintragen zu lassen. Für Unwillige übernimmt das Justizministerium den Eintrag. "Memorial" hat dagegen geklagt, das Oberste Gericht soll noch in diesem Jahr dazu tagen. Die Vorwürfe seien absurd, so eine Sprecherin von "Memorial" gegenüber der dpa. Der Dachverband verfüge nicht über eigenes Geld und habe nur organisatorische Funktion.

"Wenn sie ,Memorial‘ schließen, ist das eine Schande von internationalem Ausmaß", so Altdissidentin Ljudmila Alexejewa, Chefin der Moskauer Helsinki-Gruppe, zu Interfax. Sogar der Chef des Menschenrechtsrats im Kreml, Michail Fedotow, warnte vor einem "kolossalen Imageschaden" für Russland.