Russischer Truppenabzug: Schallenberg und Baerbock mahnen zu Vorsicht
Von Evelyn Peternel
Eigentlich sind österreichische Besuche in Berlin immer angenehm. Man versteht sich, hat kaum Differenzen. Das ist am Mittwoch nicht anders, als Außenminister Alexander Schallenberg Amtskollegin Annalena Baerbock (sie ist großer Fußballfan) als Geschenk einen von Andreas Herzog unterschriebenen Werder-Bremen-Schal überreicht – was sie zur unabsichtlichen Anrede „lieber Andreas“ verleitet.
Wäre da nicht die Ukraine. Die Stimmung in Berlin ist angespannt. Erst tags zuvor ist Kanzler Olaf Scholz von seinem Besuch bei Wladimir Putin zurückgekehrt, ohne große Erfolge im Gepäck. Was der Westen derzeit aus Moskau empfange, seien „gemischte Signale“, sagt Schallenberg: Auf der positiven Seite stehe der Truppenabzug, auf der negativen die Überlegungen des Kreml, die Separatistenregionen anzuerkennen. „Eine Schwalbe macht noch keinen Frühling“, sagt er. Sie sagt: „Der Abzug wäre ein positives Signal, würde er sich bewahrheiten. Es ist an Russland, zu deeskalieren.“
Die Ukraine hat laut Präsident Wolodymyr Selenskyj bisher aber gar keinen Abzug russischer Truppen unweit ihrer Grenzen festgestellt: „Wir sehen die eine oder andere Rotation, doch ich würde das nicht als Abzug von Truppen vonseiten der Russischen Föderation bezeichnen“, sagte er am Mittwoch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Es sei noch zu früh, um sich zu freuen.
Die Drohkulisse des Westens müsse darum aufrecht erhalten werden, darin sind sich beide einig. Das gilt auch für Nord Stream 2: Was die von der OMV mitfinanzierte Gaspipeline angeht, ist Schallenberg nicht nur ganz auf Linie mit der grünen Ministerin, er ist auch konkreter als Scholz, der sich vor einer Absage des Projekts zumindest verbal scheut. „Eine Betriebsgenehmigung der Pipeline ist bei einer militärischen Aggression undenkbar“, sagt er. Bei anderen Sanktionen bleibt man vage; auch bei der Debatte um eine Neutralität der Ukraine, die ja als Entspannungsszenario kolportiert wird, bremsen beide. Dies müsse jeder Staat für sich entscheiden, und Kiew sehe das derzeit nicht als Option, sagt Schallenberg. Baerbock spricht von einem „ganz klaren Bekenntnis zum Recht eines Landes, seinen Weg frei zu wählen.“
„Preisschild“ nötig
Das ist eine Taktik, die nicht jedem gefällt. Die europäische „Strategie der Ambiguität“ – Russland im Dunkeln über Konsequenzen zu lassen – sei nicht zielführend, sagt etwa Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, der auch Olaf Scholz berät. „Putin braucht ein Preisschild. Dieser Weg unterstütze nur die Sicht Moskaus, dass der Westen schwach und uneinig sei.
Er warnt auch davor, den Truppenabzug als Absage an einen Krieg zu interpretieren. „Moskau wendet eine Zermürbungstaktik an. Truppen werden abgezogen, dann wieder an die Grenze geschickt.“ Dadurch, dass Scholz und Macron mit gewissen Zugeständnissen in der Hinterhand angereist seien, sei die Lage momentan entspannter, aber in einer Woche könne das wieder anders aussehen. „Russland wird immer mehr wollen – denn militärische Mittel sind das zentrale Mittel seiner Außenpolitik.“