Ostukraine: "Es wird gezielt in einen Krieg getrieben"
In der Ostukraine ist es im Konfliktgebiet auch am Sonntag zu mehreren neuen Angriffen gekommen. Die Aufständischen in den Gebieten Luhansk und Donezk teilten in der Früh mit, seit Mitternacht seien mehrfach Dörfer beschossen worden. Sonntagvormittag waren mehrere Explosionen in Donezk zu hören. Auch die ukrainische Armee listete in der Früh mehrere Verstöße gegen den geltenden Waffenstillstand auf.
Das russische Präsidialamt nennt die Lage an der sogenannten Kontaktlinie im Osten der Ukraine "maximal belastet". Jegliche kleinere Provokation könne zu irreparablen Konsequenzen führen, wird Kreml-Sprecher Dmitri Peskow von der Nachrichtenagentur Interfax zitiert. Die ständigen Warnungen des Westens an Russland vor einer Invasion in die Ukraine seien eine Provokation und könnten gegenteilige Konsequenzen haben.
"In Europa riecht es sehr stark nach Pulver. Es wird gezielt in einen Krieg getrieben", sagte der belarussische Verteidigungsminister Viktor Chrenin.
Zivile Opfer?
Es soll zudem erneut zu Opfern gekommen sein. Die jeweiligen Angaben ließen sich aber nicht unabhängig überprüfen.
Bei dem Beschuss eines Dorfes im Konfliktgebiet sind nach Angaben der von Russland unterstützten Separatisten zwei Zivilisten getötet worden. Der Zwischenfall habe sich in Pionorskoje im Gebiet Luhansk ereignet, sagte ein Sprecher am Sonntag der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Die Separatisten beschuldigten die ukrainische Armee, für den Angriff verantwortlich zu sein. Fünf Wohnhäuser seien zerstört worden.
Das Militär hatte bereits am Samstag von zwei getöteten Soldaten gesprochen. Nach Einschätzung internationaler Beobachter steigt die Zahl der Verletzungen des Waffenstillstands massiv. In der Region Luhansk seien 975 Verstöße festgestellt worden, darunter 860 Explosionen, hieß es in einer Mitteilung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Nacht auf Sonntag. Für die Region Donezk wurden 591 Verstöße gemeldet, darunter 535 Explosionen. Diese Zahlen bezogen sich auf die Lage am Freitag.
Russland setzt Militärübung doch fort
Inmitten der sich verschärfenden Ukraine-Krise hat Belarus am Sonntag eine Verlängerung der gemeinsamen Militärübungen mit Russland angekündigt. Wegen der "Zunahme militärischer Aktivitäten" in der Nähe der belarussischen Grenze und aufgrund einer "Verschärfung der Situation im Donbass" hätten Präsident Alexander Lukaschenko und sein russischer Kollege Wladimir Putin beschlossen, die Militärübungen fortzusetzen.
Johnson warnt vor "größtem Krieg in Europa seit 1945"
Der britische Premierminister Boris Johnson hat angesichts der drohenden Eskalation in der Ukraine vor einem Krieg in der Dimension des Zweiten Weltkriegs gewarnt. "Ich muss leider sagen, dass der Plan, den wir sehen, vom Ausmaß her etwas ist, das wirklich der größte Krieg in Europa seit 1945 sein könnte", sagte Johnson in einem BBC-Interview.
"Alles deutet darauf hin, dass der Plan in gewisser Weise schon begonnen hat", sagte Johnson, der in den vergangenen Tagen bereits sehr offensiv vor russischen "Operationen unter falscher Flagge" gewarnt hatte.
"Die Leute müssen wirklich verstehen, wie viele Menschenleben betroffen sein könnten", warnte Johnson in Bezug auf die drohende Eskalation und kündigte erneut scharfe Sanktionen für diesen Fall an. Großbritannien und die USA würden es russischen Unternehmen unmöglich machen, "in Pfund und Dollar zu handeln", was diese schwer treffen werde.
Russischer Angriff laut USA "jederzeit" möglich
Die US-Regierung bekräftigte ihre Warnung vor einem Angriff Russlands auf die Ukraine. Die Sicherheitsberater des US-Präsidenten Joe Biden gingen weiterhin davon aus, dass "Russland jederzeit einen Angriff auf die Ukraine" starten könnte, teilte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, am Samstagabend mit. Biden beobachte die Entwicklungen. Für Sonntag sei eine Sitzung des US-Präsidenten mit dem Nationalen Sicherheitsrat angesetzt.
Selenskyj versichert Dialogbereitschaft
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte unterdessen in einem Telefonat mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron die Dialogbereitschaft seines Landes im Konflikt mit Russland. Wie es am Samstagabend aus dem Elysee-Palast hieß, habe Selenskyj in dem Gespräch zugesichert, nicht auf Provokationen moskautreuer Separatisten in der Ostukraine zu reagieren. Er habe sich entschieden geäußert, eine weitere Eskalation verhindern zu wollen.
Macron telefonierte wiederum nach einem längeren Telefonat mit Kremlchef Wladimir Putin im Anschluss erneut mit dem ukrainischen Präsidenten. Zum Inhalt wurde zunächst nichts bekannt.
Österreichische Regierung schickt Krisenteam
Österreichs Bundesregierung hat am Sonntag reagiert und ein Krisenteam nach Kiew geschickt. Es besteht aus sieben Mitarbeitern des Außen-, Innen- und Verteidigungsministeriums. Das Krisenteam soll Mitarbeiter bei der österreichischen Botschaft bei der Krisenbewältigung und Auslandsösterreicher bei der Ausreise unterstützen.
NATO: Zeichen deuten auf "vollständigen Angriff" auf Ukraine hin
Die NATO erwartet eine umfassende Attacke der russischen Armee auf das Nachbarland Ukraine. "Alle Zeichen deuten darauf hin, dass Russland einen vollständigen Angriff auf die Ukraine plant", sagte der Generalsekretär der Militärallianz, Jens Stoltenberg, am Samstagabend in den ARD-Tagesthemen.
Der Norweger, zurzeit Gast der Münchner Sicherheitskonferenz, sprach von einem fortgesetzten militärischen Aufmarsch. "Es werden keine Truppen zurückgezogen, wie Russland das angibt, sondern es kommen neue Truppen hinzu." Es gebe außerdem Anzeichen, dass Russland sich darauf vorbereite, einen Vorwand für einen Angriff zu schaffen. Stoltenberg hält aber weiter an einer politischen Lösung des Konflikts fest.
EU-Ratspräsident will bei Angriff Russlands Gipfel einberufen
EU-Ratspräsident Charles Michel will im Fall eines russischen Angriffs auf die Ukraine sofort einen Sondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschef einberufen. Man werde sicherstellen, dass vollständig geeint über Sanktionen entschieden werde, sagte der Belgier am Sonntag bei der Münchner Sicherheitskonferenz.
150.000 russische Soldaten an Grenze
Russland hat nach westlichen Angaben weit mehr etwa 150.000 Soldaten an der Grenze zum Nachbarland Ukraine zusammengezogen. Die Führung in Moskau streitet Angriffspläne ab.
Russland: Zehntausende Flüchtlinge aufgenommen
Russland hat nach eigenen Angaben Zehntausende Menschen aus der Ostukraine aufgenommen. Zivilschutzminister Alexander Tschuprijan sprach am Sonntag der Staatsagentur Tass zufolge von mehr als 40.000 Flüchtlingen, die in der Region Rostow im Süden des Landes angekommen seien. Sie sind demnach in 92 Notunterkünften untergebracht worden.