Politik/Ausland

Rosen von Merkel für alle, auch die Türkei

Nie hat die schon bald acht Jahre regierende deutsche Kanzlerin die Türkei so hofiert wie bei diesem Staatsbesuch. Sie machte sogar eine ihrer seltenen Sightseeing-Touren, um die Kulturorte in Kappadokien überschwänglich zu preisen. Als Dank ließ sie der Tourismus-Minister dort aus einem Ballon mit Rosenblättern beregnen.

Soviel Symbolik gab es danach in der Hauptstadt Ankara zwar nicht, aber doch eine politische Frohbotschaft für Premier Recep Tayyip Erdogan: Die Kanzlerin versprach ihm, die bisher vor allem von ihr subtil in Brüssel gebremsten Beitrittsverhandlungen mit der EU wieder ins Laufen zu bringen.

Das ist angesichts der immer nationalistischer werdenden Politik Erdogans, zu der auch die Einkerkerung von mehr Journalisten als in China gehört, ein unerwarteter Schwenk. Auch wenn das Interesse der wirtschaftlich rasant erstarkenden Türkei an der EU nachlässt, brächten neue Schritte in Richtung Beitritt ihren Bürgern wohl bald den freien, Visa-losen Zugang in die EU, den Erdogan im Gespräch mit Merkel erneut einforderte.

Stimmenpotenzial

Hauptgrund für ihren Schwenk sind aber nicht Erdogans verblüffend massive Forderungen, sondern die Stimmenpotenziale der Türkischstämmigen in Deutschland: Die Union, die den EU-Beitritt der Türkei bisher ausschloss, bemüht sich künftig um sie mehr – auch wenn der dann doch nie kommen sollte. Denn Merkel braucht auch einen Teil der bis zu drei Millionen Türkisch-stämmigen, um im September wiedergewählt zu werden. Viele wären konservativ genug dafür, wäre da nicht das alte Misstrauen der Union gegen sie.

Damit beteiligt sich Merkel nun am Wettrennen, das letzte Woche SPD-Chef Sigmar Gabriel mit dem Versprechen aufnahm: Eine der ersten Maßnahmen bei einem SPD-Wahlsieg wäre die doppelte Staatsbürgerschaft für jene, die bisher mit 18 Jahren lieber ihre türkische behielten, als die ihres Gastlandes anzunehmen. Wer in Umfragen nicht vorankommt, muss eben noch mehr bieten.

Das gilt aber auch für die CDU-Chefin, die ihre Partei vor Kurzem gewarnt hat, dass es „am Schluss auf ein halbes Prozent ankommt“: Wenn, wie 2002, über Sieg oder Niederlage 8900 Stimmen entscheiden, muss man um jede kämpfen. Und das tut Merkel mit einer Konsequenz, die ihr bisher auch die eigene CDU nicht zutraute.

Positionsänderungen

In den dreieinhalb Jahren, in denen sie in der bürgerlichen Koalition mit ihrem einstigen „Wunschpartner“ FDP regiert, hat die CDU-Chefin alle wichtigen konservativen oder wirtschaftsfreundlichen Positionen aufgegeben.

Sie persönlich sorgte für den chaotischen Atomausstieg, die Einführung der vor allem CDU-Wähler betreffenden Finanztransaktionssteuer und die Abschaffung der Wehrpflicht. Anderes ließ sie zu oder befördert es still: Das Vordringen der umstrittenen Frauenquote, die Förderung staatlicher Kinderbetreuung, die Abschaffung der Hauptschule und der Studiengebühren, die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns unter anderem Namen, die Gleichstellung Homosexueller im Familienrecht.

Dabei nimmt Merkel kaum Rücksicht auf die Koalitionspartner CSU und FDP: Die sind ohnehin auf sie angewiesen, solange die Deutschen ihr Krisenmanagement in der Staatsschuldenkrise und die Wirtschaftszahlen überwiegend positiv sehen. Und konservative Stammwähler haben ohnehin keine Alternative zu Merkels Union.

Deshalb kann sie gegen deren Unmut den Wettlauf der Versprechens- und Geschenkpolitik von SPD und Grünen unter dem Motto einer Gerechtigkeitskluft voll mitmachen. Auch beim Werben um die Türkei und deren in Deutschland lebenden Bürger.