Rechter Mob in Sachsen: "Ergebnis anhaltender Unfähigkeit"
Gedacht war es als Trauermarsch. Geworden ist es am Sonntag ein wütender Mob. Die verstörenden Bildern aus Chemnitz wurden in Deutschland am Tag danach als Beweis für Sachsens Rechtsextremismus-Problem gewertet.
Auslöser der "Spontandemo gegen Gewalt", wie die AfD die von ihr mit-initiierte Versammlung nannte, war der Mord an einem 35 jährigen Deutschen am Chemnitzer Stadtfest. Nach Angaben der Polizei Sachsen war es zuvor gegen 03.15 Uhr zu einer "tätlichen Auseinandersetzung zwischen mehreren Personen unterschiedlicher Nationalitäten gekommen".
"Selbstjustiz"
Bei der folgenden Kundgebung soll es dann zu regelrechten Jagdszenen gekommen sein. Rund 800 Teilnehmer, darunter laut Angaben der Polizei rund 200 gewaltbereite Rechtsextreme, zogen durch die Innenstadt - großteils unbehelligt von der offenbar überforderten Polizei. Auf Videos ist zu sehen, wie Ausländer von Personen aus der Masse heraus attackiert werden. Zu hören sind Rufe wie "Wir sind das Volk", aber auch rechte Parolen wie "Deutsch, sozial, national".
Deutsche Politiker verurteilten die Tat am Montag. "In Deutschland ist kein Platz für Selbstjustiz, für Gruppen, die auf den Straßen Hass verbreiten wollen, für Intoleranz und für Extremismus", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.
"Pogrome wie zu Beginn der 1990er Jahre"
Linken-Vorsitzende Antje Feiks fühlte sich gar an die Neonazi-Szene Anfang der 90er erinnert. "Die sich anschließende Mobilisierungswelle im Spektrum der extremen Rechten und Hooligans lassen Erinnerungen an die Pogrome zu Beginn der 1990er Jahre aufkommen", sagte sie.
"Sachsen muss endlich kapieren, dass Rechtsextremismus eine Bedrohung für das Bundesland darstellt", schrieb die Süddeutsche Zeitung. Rechtsextreme würden den Tod des 35-jährigen Mannes für ihre Zwecke missbrauchen - "und dies schon lange bevor überhaupt klar war, wer die mutmaßlichen Täter waren".
Der bekannte Rechtsextremismusforscher Hajo Funke sprach gegenüber shz.de von einer "breiten Billigung rechten Gedankenguts in Sachsen". Zuzuschreiben hätten sich das "vor allem Politik und Polizei. "Die aktuelle Situation in Sachsen ist das Ergebnis der anhaltenden Unfähigkeit von Polizeipräsident und Innenminister. Denn überall, wo diese rechten Szenen nicht rechtzeitig eingedämmt werden, dehnen sie sich rasant aus". Das haben man bereits an zahlreichen Fällen gesehen, erklärte Funke.
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, der zuletzt wegen seiner Verteidigung der Polizei beim Vorgehen gegen ein Fernsehteam des ZDF in die Kritik geraten war, hat nach den Ausschreitungen lange geschwiegen, bis er sich dazu durchringen konnte, die rechtsextreme Stimmungsmache zu verurteilen. Schon das wertete die Süddeutsche Zeitung als "Schande für Sachsen".
Die Debatte wird Deutschland wohl noch länger begleiten. Für den Montag sind erneut zwei Demonstrationen in Chemnitz geplant. Das Bündnis "Chemnitz Nazifrei" hat für 17.00 Uhr zu einer Kundgebung im Stadthallenpark aufgerufen. Der Protest richtet sich "gegen rechte Hetze und Instrumentalisierung". Eineinhalb Stunden später hat die rechtspopulistische Bewegung "Pro Chemnitz" vor dem Karl-Marx-Monument zu einer Versammlung aufgerufen.