Politik/Ausland

Premier Tsipras marschiert forsch in Richtung "Grexit"

Mit seiner jüngsten Volte könnte es Alexis Tsipras über- und sein Land an den Rand des Euro-Austritts getrieben haben: Die Ankündigung des griechischen Premiers von Freitagnacht, das Volk über die jüngsten Reformvorschläge der Geldgeber abstimmen zu lassen, hat die Chancen auf eine Einigung de facto auf null sinken lassen. In der Nacht auf Sonntag stimmte das Parlament mit 178 Ja gegen 120 Nein-Stimmen für das Referendum. "Das Referendum wird stattfinden, ob die Partner es wollen oder nicht", sagte Tsipras im Parlament. Er rief die Menschen dazu auf, mit einem "großen Nein" gegen die Forderungen der Gläubiger zu stimmen.

Griechenland hat durch die Ankündigung des Referendums den Verhandlungstisch verlassen“, sagte Finanzminister Hans Jörg Schelling zu Beginn der Eurogruppe Samstagnachmittag in Brüssel. „Es gibt jetzt keine Grundlage mehr für Verhandlungen“, sagte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble. Das Treffen der Euro-Finanzminister am Samstag war eigentlich als „letzte Chance“ für Verhandlungen mit Athen angesetzt gewesen, bevor die Griechen die Pläne über den Haufen warfen.

Waghalsiger Plan

Denn dem, was Finanzminister Yanis Varoufakis Samstagnachmittag vorlegte, konnten die anderen Euro-Staaten kaum zustimmen: Eine Verlängerung des Ende Juni auslaufendes Hilfsprogramms um ein Monat; eine baldige Volksabstimmung über das jüngste Angebot der Geldgeber; und eine Zwischenfinanzierung, um am Dienstag die fällige Rate an den Internationalen Währungsfonds in Höhe von 1,6 Milliarden Euro begleichen zu können. Im Gegenzug würde sich die griechische Regierung dazu verpflichten, gemäß des Resultats der Volksabstimmung – die de facto eine Abstimmung über den Verbleib in der Eurozone wäre – einen Reformplan mit den Geldgebern zu vereinbaren und umzusetzen.

Ein waghalsiger Plan – noch dazu, wo Tsipras vor dem Votum für ein „Nein“ zum Angebot der Geldgeber werben will.

Wie erwartet, lehnte die Eurogruppe Tsipras’ Plan am Samstag ab. Stattdessen wurde am Abend ohne griechische Beteiligung weiter beraten – über einen „Plan B“. „Das Programm läuft Dienstag Abend aus, das scheint im Moment sehr klar“, sagte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem vor der internationalen Presse. „Deshalb müssen wir uns mit den Konsequenzen befassen, um die hohe Stabilität der Eurozone aufrecht zu halten.“

Eine Pleite und ein Ausscheiden aus der Eurozone ("Grexit") sind aber nicht zwingend miteinander verbunden, sagte hingegen Notenbankgouverneur Ewald Nowotny am Samstagabend in der ZiB. Es könne ja auch eine Gemeinde pleitegehen und müsse deshalb nicht aus dem Euro ausscheiden, verglich Nowotny

Aus für Notfallkredite?

Die EZB muss nun rasch entscheiden, ob sie die griechischen Banken auch nach Auslaufen des Hilfsprogramms weiter mit Notfallkrediten über Wasser halten will. Dem Vernehmen nach wurde auch schon darüber gesprochen, ob es in den nächsten Tagen Kapitalverkehrskontrollen geben soll.

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Dijsselbloem deutete an, wie es nach dem Referendum weitergehen könnte – vorausgesetzt, Griechenland geht nicht unmittelbar nach Ende des Hilfsprogramms Pleite: Ein „Nein“ der Griechen wäre gleichbedeutend mit einem Ausscheiden aus der Eurozone.

„Risikomanagement“

Bei einem „Ja“ hingegen müsste man wohl auf eine neue Regierung in Athen warten, bis man wieder über Hilfsgelder reden könnte – es gebe „wenig Glaubwürdigkeit“, so Dijsselbloem, dass die Tsipras-Regierung selbst mit einem „Ja“ der Bevölkerung vereinbarte Reformen umsetzen würde.

In jedem Fall, so Dijsselbloem, stehe Athen in den kommenden Wochen vor einer gewaltigen Aufgabe des „Risikomanagements“; „die Situation in Griechenland könnte sich rasch dramatisch verschlechtern“.

Weiterführende Artikel

Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) stand nach der Sitzung der Eurogruppe Samstagabend in Brüssel Rede und Antwort über ...

... den Abbruch der Verhandlungen:

"Die Entscheidung ist gefallen, das Programm wird nicht verlängert. Ich glaube, dass die Entscheidung für Griechenland sehr überraschend war – für die Eurogruppe nicht. Wir sind vorbereitet, die Eurozone wird dadurch keinen Schaden erleiden. Es werden alle Instrumente eingesetzt, um den Euro stabil und erfolgreich zu halten."

... die Gründe des Scheiterns:

"Der Fehler von Griechenland war, dass man gepokert hat. Beim Pokern kann man auch verlieren. Griechenland hat unterschätzt, dass die Eurogruppe sich nicht erpressen lässt. Wir können es nicht akzeptieren, dass ein Verhandlungspartner mitten unter den Verhandlungen den Tisch verlässt und versucht, mit einem Referendum den Druck zu erhöhen."

... eine mögliche Last-Minute-Lösung:

"Sollte bis zum 30. Juni noch eine Lösung kommen, sind wir immer bereit, zu verhandeln. Aber am 30. ist es aus. Wir prüfen gerne jeden Vorschlag, aber man darf eines nicht vergessen: Die griechische Regierung hat beschlossen, ein Referendum zu machen über einen Vorschlag, der nicht von beiden Seiten akzeptiert ist – und gleichzeitig eine Empfehlung abzugeben, diesen Vorschlag nicht zu akzeptieren. Das ist schon überraschend."

... einen möglichen Ausstieg aus dem Euro:

"Es wird keinen Grexit geben, Griechenland ist weiter Mitglied der Eurozone. Man wird sehen, ob sie am 30. Juni die Rate an den IWF bezahlen – vielleicht gibt es Geldmittel, von denen wir nichts wissen."

... eine drohende Staatspleite der Griechen:

"Es ist nicht klar, was die nächsten Schritte der griechischen Regierung sein werden. Wir sind jedenfalls gut vorbereitet, es muss sich um den Euro niemand sorgen."

... ein etwaiges "Ja" beim Referendum:

"Fest steht, dass am 30. Juni dieses Programm ausläuft. Dann müsste man von null an wieder verhandeln. Das ist der Fehler, den die griechische Regierung gemacht hat: Dass sie seit langem weiß, was auf dem Tisch liegt. Man hätte das Referendum schon vor einer Woche machen können. Sollte das Referendum positiv ausfallen, ist die Eurogruppe sicher bereit zu verhandeln – aber nicht mehr über das zweite Hilfsprogramm, das ist mit 30. Juni abgeschlossen."

... Kapitalverkehrskontrollen in Griechenland:

"Wir hören, dass in vielen Städten die Bankomaten leer sind, und dass ein extrem hoher Betrag heute abgehoben wurde im Vergleich zu einem normalen Wochenende."

Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte dem finanziell angeschlagenen Griechenland in einem Vorgriff auf ein späteres Hilfspaket unter bestimmten Umständen vorab Liquidität über ein "Brückenprogramm" zur Verfügung stellen. Das sei ein Punkt, der zu diskutieren sei, sagte der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), EZB-Rat Ewald Nowotny am Montagabend.

"Rasche Entscheidung nötig"

Auf jeden Fall seien sehr rasche Entscheidungen nötig, "man kann eine Wirtschaft ja nicht quasi einfrieren", meinte Nowotny in der "ZiB2" des ORF-Fernsehen. Wenn Athen tatsächlich am 20. Juli Staatsanleihen im Umfang von 3,5 Mrd. Euro, die von der EZB gehalten werden, nicht tilgen könne, dann wäre dies "tatsächlich der Fall eines Staatsbankrotts, eines Defaults, da würde es für die EZB nicht mehr möglich sein, weitere Liquidität bereitzustellen", betonte Nowotny. Dann müsste die EZB aus seiner Sicht die knapp 90 Mrd. Euro ELA-Notfallkredite formal fällig stellen, wenn auch mit Fristen für eine Rückzahlung.

Über die längerfristigen Perspektiven für Griechenland würden die politischen Verhandlungen am Dienstag und eventuell auch am Mittwoch entscheiden: "Ich muss zumindest eine Perspektive haben. Das muss sich in den morgigen Verhandlungen abzeichnen, das ist ein ganz ganz wichtiger Tag."

In diesem Konnex seien dann auch allfällige weitere Liquiditätsbereitstellungen zu sehen. Allerdings, so Nowotny: "So wie die Informationen aber sind, die ich bekomme, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es da zu konstruktiven Schritten kommt, nicht sehr groß." Diese Woche würden die griechischen Banken wohl mit dem prolongierten - aber nicht aufgestockten - ELA-Rahmen "durchkommen", danach könnten aber vielleicht einmal neue Maßnahmen nötig werden.

Eigene Euro drucken könne Griechenland eigenmächtig jedenfalls nicht: "Die Ausgabe von Noten ohne Bewilligung durch die EZB ist das Verbrechen der Falschgelderzeugung. Das wäre schon ein strafrechtliches Delikt", so Notenbankgouverneur Nowotny auf eine diesbezügliche Frage.

Viele Griechen haben in der Nacht auf Samstag mit Schlangen vor den Bankomaten auf die Ankündigung von Premier Alexis Tsipras reagiert, ein Volksbegehren abhalten zu lassen. Die beiden Bankomaten im griechischen Parlament waren komplett geleert, wie die Nachrichtenagentur AFP meldete, auch einige Bankautomaten in Thessaloniki spuckten kein Geld mehr aus.

Ein paar Stunden später war die Stimmung in Athen wieder gelassener. „Man hat uns fünf Jahre lang erpresst, jetzt sollten wir endlich den Euro verlassen“, sagt Nikos zum KURIER, ein Bauingenieur, der einen Freund zu einem Piraeus-Bankautomaten im Athener Viertel Pankrati begleitet hat. Nikos selbst hat kein Geld abgehoben. „Ich bin nicht besorgt, dass es uns ausgeht“, sagte er.

„Verrückte Idee“

Auch der Eurozone-Experte Yannis Koutsomitis hat sich kein extra Bares geholt. „Ich habe schon geahnt, wie die Verhandlungen mit den Gläubigern ausgehen werden und habe mich längst um mein Geld gekümmert“, erzählt er dem KURIER. Die Idee einer Volksabstimmung findet Koutsomitis „absolut verrückt. Wenn die Gläubiger keine Verlängerung des Kreditvertrags gewähren, wird eine Volksabstimmung in der kommenden Woche zwecklos“, meint er.

Rücktritt gefordert

„Nachdem Herr Tsipras nicht in der Lage ist, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, sollte er zurücktreten und die Bürger per Neuwahlen über ihre Zukunft entscheiden lassen“, forderte der neue Chef der sozialistischen Partei PASOK, Fofi Genimmata. „Heute führt Herr Tsipras das Land zu einer Volksabstimmung im Grunde über ein ,ja‘ oder ,nein‘ zu Europa“, stellte Antonis Samaras, der Chef der konservativen Partei Nea Dimokratia, fest.

Auch die liberale Bürgerbewegung To Potami hat sich mit Kritik gemeldet: „Nur der Koalitionspartner, die Unabhängigen Griechen ANEL, und die faschistische Goldene Morgenröte unterstützen Syriza“, sagte Koutsomitis.

Ob nun Kapitalkontrollen kommen, hänge von Brüssel ab, sagt Nikos Georgikopoulos vom Athener Zentrum für Planung und Wirtschaftsforschung KEPE. „Und von der Entscheidung der EZB, ob sie den griechischen Banken frisches Geld aus dem ELA-Notstandkredit gibt“, sagte er zum KURIER.