Trotz Affären holt Le Pen weiter auf
Von Danny Leder
Eines kann man Marine Le Pen nicht vorwerfen: Dass sie ihre Haltung zur EU im Laufe der Zeit geändert habe. Schon im Juni 2012, als ihr in einem KURIER-Interview vorgehalten wurde, sie würde zu den so genannten "schlechten Schülern" unter den EU-Abgeordneten zählen, die die meisten Sitzungen des EU-Parlaments schlicht schwänzen, meinte sie freimütig: "In der Schule sind die besten Schüler auch nicht diejenigen, die immer anwesend sind und neben der Heizung schlafen. Ich habe viel mehr als andere in diesem Rahmen gegen die EU geleistet. Ich bin eine überzeugtere EU-Phobikerin als sonst wer."
FN-Zentrale durchsucht
Da sich ihre Anhänger an der destruktiven Haltung ihres Idols gegenüber der EU nicht stoßen, stört sie jetzt auch nicht sonderlich, dass Marine Le Pen und weitere EU-Abgeordnete ihres Front National (FN) Gelder des EU-Parlaments zweckentfremdet benützt haben: die Kabinettschefin von Marine Le Pen, die ausschließlich für ihre Chefin in der Pariser FN-Zentrale wirkte und nie im EU-Parlament gesichtet wurde, kassierte 300.000 Euro für eine angebliche Arbeit als Parlamentsassistentin in Brüssel beziehungsweise Straßburg. Auf der Gehaltsliste des EU-Parlaments standen auch der Chauffeur von Marine Le Pen, ihre Schwester Yann sowie der Privatbutler ihres Vaters, dem Parteigründer Jean-Marie Le Pen.
Auf Grundlage der Erkenntnisse des EU-Amts für Betrugsbekämpfung leitete die französische Justiz eine Voruntersuchung ein. Die FN-Zentrale wurde durchsucht, ihr Chauffeur und ihre Kabinettschefin wurden vorübergehend in Verwahrung genommen. Gegen die Kabinettschefin wurde ein Anklage-Verfahren eröffnet. Theoretisch droht eine solche Anklage auch Marine Le Pen im Zuge der Justizerhebungen wegen diverser Fälschungen bei ihren Wahlkampf-Ausgaben in Frankreich.
Aber all diese Vorwürfe, die Marine Le Pen als "politische Machenschaften" abtut, glitten bisher an ihr ab. Zum einen herrscht der Eindruck, dass alle politischen Kräfte schummeln, wobei die Affäre um den konservativen Präsidentschaftskandidaten Francois Fillon stärker einschlug: Hatte doch der deklarierte Saubermann seine Frau und zwei seiner Kinder für fiktive Tätigkeiten im französischen Parlament großzügig entlohnen lassen, also seine Familie auf Kosten des französischen Staates bereichert. Zum anderen informieren sich FN-Anhänger oft nur über eigene Web-Kanäle. Übrige Medien werden – Stichwort "Lügenpresse" – des Komplotts gegen den FN bezichtigt.
Wutwähler
Auch kann sich Le Pen in beträchtlichem Maß auf Wutwähler stützen, die "ihren Stimmzettel wie eine Granate benützten wollen, die sie in die Urne werfen", wie der Politologe Thomas Guénolé formuliert: "Wer die Bank sprengen will, dem sind Affären egal." Diese Wähler schreckt auch kaum, dass Le Pen mit dem Euro, der EU und sogar der NATO Schluss machen möchte.
So hat die Nationalistin in Umfragen zuletzt zugelegt: mit 26 bis 28 Prozent gilt sie als klare Favoritin für den ersten Durchgang der Präsidentenwahlen Ende April. Wobei 74 Prozent der Befragten, die sich zu ihr bekennen, ihre Entscheidung als sicher bezeichnen – ein Rekord.
Für die Stichwahl, Anfang Mai, ist sie noch im Hintertreffen, holt aber auf: gegenüber dem Konservativen Francois Fillon käme sie laut Umfragen auf rund 44 Prozent. Im Fall eines Duells mit dem liberalen Reformer Emmanuel Macron könnte sie derzeit mit 42 Prozent rechnen.