Politik/Ausland

Potenzial von Frauen im digitalen Bereich ausschöpfen

Heute feiern wir den Weltfrauentag 2017. Das ist nicht nur ein Tag, um die Bilanz unserer Erfolge zu ziehen – ja, wir haben viel erreicht! –, sondern auch, um festzustellen, dass wir nichts als selbstverständlich betrachten dürfen: vieles muss noch getan werden, wenn wir die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Generation unserer Kinder erreichen wollen. Das Weltwirtschaftsforum berichtet, dass es bei der gegenwärtigen Entwicklung noch 83 Jahre dauern könnte, bis der weltweite Gender-Gap geschlossen sein wird.

Heuer feiern wir den 60. Jahrestag der Römischen Verträge – und 60 Jahre europäischen Engagements für die Gleichstellung der Geschlechter. Seit der Grundsatz gleichen Lohns für gleiche Arbeit erstmals in den Verträgen erwähnt wurde, haben wir ihn von einem eng gefassten Arbeiterschutz zu einer breiten, allumfassenden Anerkennung der Gleichheit als einem der Grundwerte der Europäischen Union weiterentwickelt.

Als ehemalige Vize-Präsidentin der Europäischen Kommission (Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft), bin ich stolz, zu dieser europäischen Erfolgsgeschichte beigetragen zu haben: vor allem durch die Vorlage eines Gesetzesvorschlags Ende 2012, der einen höheren Anteil an Frauen in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen gewährleistet (Anteil von 40% in Aufsichtsräten bis 2020). Auch wenn dieser Vorschlag – ungeachtet der überwältigenden Zustimmung des Parlaments! – bis heute durch eine Sperrminorität im Ministerrat blockiert wird, war der Dominoeffekt in Bezug auf das Agenda-Setting beträchtlich. Im europäischen Durchschnitt hat sich der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten fast verdoppelt: von 11,9% auf 23,3%! In Österreich ist der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten um 11,4 Prozentpunkte auf einen Gesamtanteil von 20,1% gestiegen.

Wir sind immer noch weit von dem 40%-Ziel entfernt, aber die Richtung ist die richtige. Die Entwicklung in den Aufsichtsräten geht mit einer Revolution in den Köpfen der Menschen einher. Aber während wir auf einem Gebiet Fortschritte erzielen, tauchen andere Probleme auf oder bleiben bestehen. Zum Beispiel hat sich das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern als hartnäckig herausgestellt. Es ist nicht hinnehmbar, dass Frauen in Europa heute immer noch im Durchschnitt 16% weniger als Männer verdienen!

Es ist an der Zeit, Frauen für die sich wandelnde Arbeitswelt zu stärken: 2013 waren unter den fast 30 Millionen Menschen, die in der Informations- und Kommunikationstechnologie arbeiten, nur etwa 30% Frauen. Auf der Führungsebene sind sie noch stark unterrepräsentiert. In Anbetracht des größten Fachkräftemangels seit 2007 können wir es uns nicht mehr leisten, Talent zu verschwenden. Wir müssen dringend das Potenzial von Frauen im digitalen Bereich ausschöpfen.

Ein US-Präsident, der trotz wiederholt frauenverachtender Kommentare gewählt wurde, ein russisches Gesetz, das gewisse Formen häuslicher Gewalt entkriminalisiert, und zuletzt die frauenfeindliche Tirade eines fraktionslosen polnischen Abgeordneten im Europäischen Parlament sind nur einige Dinge, die zeigen, dass wir unsere Erfolge ebenso sehr schützen müssen, wie wir neue Herausforderungen in Angriff nehmen müssen.Die Luxemburgerin Viviane Reding ist von Beruf Journalistin. 1999–2014 EU-Kommissarin, 2009–2014 Vize-Präsidentin der Kommission. Seit Mitte 2014 EU-Abgeordnete der EVP.