Politik/Ausland

Macrons junge Garde stürmt das Parlament

Frankreichs Nationalrat steht vor einem spektakulären Umbruch. Die Partei von Präsident Emmanuel Macron wird, heute, Sonntag, im zweiten Durchgang der Parlamentswahlen eine erdrückende Mandats-Mehrheit erringen: voraussichtlich weit über 400 von insgesamt 577 zu vergebenden Abgeordneten-Sitzen.

Aber der Sieg der LRM ("La République en marche") ist nicht nur quantitativ auffällig. Ihre Kandidaten sind im Schnitt jünger als die übrigen Bewerber, über die Hälfte sind Frauen, über ein Drittel war noch nie in der Politik, über ein Drittel leitet eine eigene Firma, über zehn Prozent kommen aus Familien mit Migrationshintergrund.

Business-Anwältin

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Darunter stechen einige Persönlichkeiten hervor: etwa die 31-jährige Business-AnwältinLaetitia Avia. Die Tochter afrikanischer Einwanderer schaffte den Sprung aus der Vorstadt an die Pariser Elite-Hochschule "Science Po" – dort unterrichtet sie heute selber.

Avia wurde Anwältin, entsprach aber nicht dem Klischee, wonach sich Advokatinnen mit Migrationshintergrund sozialen Notfällen widmen müssten. Sie schaffte eine Blitzkarriere in Kanzleien, die sich auf Business-Affären spezialisiert haben. Sie beriet Welt-Konzerne bei Fusionen – ähnlich wie Emmanuel Macron einst in der Pariser Rothschild-Investmentbank.

Prinzip "Gutmütigkeit"

Sie konnte sich zwar für keine Partei erwärmen ("Meine einzige Passion ist das Börsenrecht"), aber sie fand das von Macron hochgehaltene Prinzip der "Bienveillance" (Gutmütigkeit) überzeugend. Diese "Pädagogik" habe bisher gefehlt, "sonst würden Menschen nicht so oft auf die Straße gehen (bei Sozialkonflikten)", erklärte Avia.

Start-up-Gründer

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Ein altgedienter Ex-Sozialist ist hingegen der 33-jährigeMounir Mahjoubi. Der Sohn marokkanischer Einwanderer und mehrfache Start-up-Gründer wurde zum Staatssekretär für Digitalwesen ernannt. Obwohl Regierungsmitglieder, die die Wahl verlieren, ihr Amt zurücklegen müssen, ging Mahjoubi das Risiko einer Kandidatur ein – bisher mit Erfolg: er überrundete im ersten Wahlgang in seinem multikulturellen Pariser Wohnbezirk den ebenfalls dort kandidierenden Vorsitzenden der SP.

Anti-Terror-Haudegen

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Auf Siegeskurs für Macron segelt auch der Anti-Terror-HaudegenJean-Michel Fauvergue. Als Chef der Eingreiftruppe "RAID" (entspricht der österreichischen Polizei-Eliteeinheit"Cobra") leitete Fauvergue 2015 den Einsatz gegen den islamistischen Geiselnehmer in einem jüdischen Supermarkt und die Erstürmung des Verstecks der Dschihadisten, die das Massaker in der Konzerthalle "Bataclan" verübt hatten. Der 60-jährige Offizier bescheinigt Macron: "Er ist ein echter Feldherr".

Bretonische Bäuerin

Weniger martialisch tritt die 26-jährige bretonische Bio-Bäuerin Sandrine Le Feur auf, aber nicht minder kämpferisch: "Ich stehe mit beiden Beinen auf der Erde unseres Hofs und weniger auf dem Pariser Asphalt. Man muss mehr auf die Bürger hören, von ihnen kommen die Lösungen", schleuderte sie in einer Debatte ihrem Rivalen entgegen. Dieser Politiker der konservativen "Republikaner" hatte sich auf seine "Erfahrung" und seine "Vernetzung in Paris" berufen.

"Hau ab!"

Genau diese Anspielung seitens gestandener Politiker, wonach die Jungspunde der LRM "viel zu unerfahren" wären, wird aber jetzt zum Eigentor.

Die Wähler schwelgen zurzeit gegenüber fast allen etablierten Politikern im so genannten "Degagisme". Dieser Begriff rührt von der Revolution in Tunesien her. Die Aufständischen richteten damals an den Diktator Ben Ali die Aufforderung: "Degage!" ("Hau ab!").

Stierkämpferin

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Diese Stimmung dürfte auch der preisgekrönten Stierkämpferin Marie Sara nützen, die in Südostfrankreich einen der wenigen noch verbliebenen Hoffnungsträger des "Front National" zu Fall bringen könnte: den 69-jährigen Abgeordneten Gilbert Collard.

Die 53-jährige Torera und Mutter von drei Kindern, die die Stierkampf-Arena in Nimes leitet, wird zwar von Tierrechtlern bekämpft, aber Macron hat auch sonst gegensätzlichste Figuren aufgelesen, etwa fanatische Jäger und Umweltschützer – immerzu mit der beschwichtigenden Anweisung, allen mit "Gutmütigkeit" zu begegnen. Das dürfte klappen.

"Faule Säcke"

Der rechte Parlamentarier Collard, der sich vor Herausfordererin Sara sichtlich fürchtet, beschimpfte Anhänger: "Ihr faulen Säcke, geht wählen!" Aber laut Umfrage wollen sich diesmal weniger als 47 Prozent der Wähler zu den Urnen bequemen.

Bisher haben die Wähler darüber scheinbar hinweg gesehen, aber Medien und Justiz lassen nicht locker: vier Mitglieder der neuen Regierung, die erst vor vier Wochen von Macron ernannt wurde, sind bereits in Schieflage – darunter ausgerechnet Justizminister Francois Bayrou, der eine Reform zur "Moralisierung der Politik" vorgelegt hat.

Europa-Ministerin Marielle de Sarnez und Verteidigungsministerin Sylvie Goulard stehen im Verdacht, sie hätten als EU-Abgeordnete ihre anderwärts eingesetzten Mitarbeiter fälschlicherweise als EU-Parlamentsassistenten eingestuft und aus EU-Mitteln bezahlen lassen. Beide Ministerinnen gehören zu einer kleinen Zentrumspartei, die sich mit Macron verbündet hat. Ihr Parteichef Bayrou, obwohl jetzt Justizminister, rief diesbezüglich recherchierende Journalisten an, um ihnen Vorhaltungen zu machen. Tags darauf rechtfertigte sich Bayrou: er habe bloß von seinem Recht "als Bürger" Gebrauch gemacht, um seinen "Schock über Mobbing" gegen Mitarbeiter seiner Partei Ausdruck zu verleihen.

Medienschelte

Dieser erstaunliche Eingriff von Bayrou in eigener Sache stieß auf heftige Medienschelte. Seine Position sei unhaltbar, zumal er als Justizminister diverse Einsichtsmöglichkeiten in die Erhebungen gegen seine eigene Partei hat.

Regierungschef Edouard Philippe schwankte bisher zwischen indirekter Zurechtweisung und einer etwas gekünstelten öffentlichen Unterstützung für Bayrou. Macron hält sich bedeckt. Nach der Wahl könnte Macron bei einer Regierungsumbildung Bayrou entsorgen, er würde damit aber sein Bündnis mit der Zentrumspartei gefährden.

Außerdem läuft eine Vorerhebung gegen einen der wichtigsten Vertrauten von Macron, dem Minister für Raumplanung Richard Ferrand, wegen obskurer Immobilien-Transaktionen.