Politik/Ausland

Der braune Terror vor Gericht

Es war am 4. November 2011 im thüringischen Eisenach, als einem einstigen DDR-Zöllner und heutigen Rentner zwei Männer auffielen, die an ungewöhnlicher Stelle hastig ihre Räder in ein Wohnmobil luden und davonfuhren. Wenig später hörte er, dass zwei Männer eine Bank in der Nähe überfallen hatten und auf Rädern geflüchtet waren. Mit seinem Hinweis fand die Polizei rasch das Wohnmobil, doch die Täter erschossen sich darin noch vor deren Zugriff.

Kurz darauf brannte im nahen Jena eine Dachwohnung, die nur mit Mühe gelöscht werden konnte, denn es war Brandstiftung.

Und kaum 24 Stunden später war klar: Die Bankräuber waren rechtsextreme Ausländerfeinde mit den Namen Uwe Böhnhardt, 34, und Uwe Mundlos, 33, die von 1996 bis 2008 offenbar systematisch und kaltblütig acht Bürger mit türkischen Wurzeln, einen griechisch-stämmigen und eine deutsche Polizistin ermordet hatten.

Die Brandstifterin Beate Zschäpe, 35, stellte sich nach ersten Fahndungsfotos der Polizei, sie war die Dritte in diesem Bunde, der sich irgendwann intern den Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ gegeben hatte, dessen Kürzel NSU seither die Schlagzeilen darüber bestimmt.

Mordserie

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Denn in dem Moment begann auch die Fassungslosigkeit nicht nur der deutschen Sicherheitsbehörden, sondern auch der ganzen Nation: Wie nur hatten diese Neonazis zehn Jahre lang unerkannt die Mordserie verüben können? Wie groß musste ihr Netzwerk von Helfern gewesen sein, um insgesamt sogar dreizehn Jahre lang im Untergrund, fern von Behörden und Arbeit unbehelligt und nicht auf der Flucht zu leben?

Die danach riesigen Ermittlungen ergaben relativ rasch, dass die Hauptursachen dafür drei waren: Ein großes, aber relativ loses Netzwerk im Neonazi-Milieu. Zudem ein Kompetenzwirrwarr von mehr als 40 mit den Mord-Ermittlungen befassten Ämtern, die miteinander nie ausreichend kommunizierten. Und dritter und wohl entscheidender Grund war die Blindheit der Politik auf dem rechten Auge: Weil die Täter, völlig untypisch für ideologisch motivierte Aktivisten, nie ein Bekennerschreiben oder einen sonstigen Hinweis hinterlassen hatten, ordneten die Innenminister der sechs betroffenen Bundesländer die Morde und zwei Bombenanschläge mit vielen Verletzten dem kriminellen Milieu zu. Und das, obwohl die meisten Taten sogar mit der gleichen Waffe ausgeführt worden waren.

Motivsuche

Mit Ausnahme des damaligen bayerischen Innenministers Walter Beckstein (CSU) wollte keiner die auch damals nahe liegende ausländerfeindliche Motivation näher verfolgen. Denn auch aus den Kreisen der Täter, in denen Polizei und Geheimdienst sich viele Spitzel halten, wurden keine ausreichend ernst zu nehmenden Hinweise geliefert.

Der langjährige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), in dessen Amtszeit acht der Morde und der größere Bombenanschlag im Zentrum von Köln fielen, räumte im inzwischen etablierten NSU-Bundestags-Untersuchungsausschuss seine Mitverantwortung dafür ein – und sein Bedauern: Die größte politische Mordserie in der Bundesrepublik nach der der linksextremen „Rote Armee Fraktion“ hätte sonst viel früher gestoppt und aufgeklärt werden können.

Mega-Prozess

Diese Aufklärung soll nun der Prozess in München gegen Zschäpe und vier als Helfer angeklagte Rechtsradikale bringen. Die 488-seitige Anklageschrift des Bundesanwalts hält Zschäpe für eine voll verantwortliche Mittäterin, auch wenn die Ermittlungen bisher nicht ergaben, dass sie auch nur an einem Tatort während der Morde persönlich Tatzeugin war. Sie sei aber volle Mitwisserin und aktive Helferin von Böhnhart und Mundlos gewesen, so der Staatsanwalt.

Schweigen

Zschäpe schweigt bisher, ob sie das auch im Prozess tun wird, ist offen, aber nicht unwahrscheinlich. Ihre Verteidiger jedenfalls weisen die Anklage weitestgehend zurück und wollen Zschäpe offenbar auf eine willige, aber schwache Teilmitwisserin reduziert sehen, ebenso die vier anderen Angeklagten.

Der Prozess in dem um 1,2 Millionen Euro extra zum Hochsicherheitssaal umgebauten Auditorium im Münchner Kammergericht ist bis Jahresende anberaumt, Hunderte Zeugen sind schon jetzt nominiert. Kompliziert wird das Verfahren auch dadurch, dass die Hinterbliebenen aller Opfer als Privatbeteiligte antragsberechtigt sind.

Türkische Verbände in Deutschland sowie türkische Medien hier und in der alten Heimat der Opfer haben die Mordserie trotz mehrerer Trauerakte unter Führung von Bundespräsident Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel teils als Gelegenheit benutzt, ihre Theorie von der Ausländerfeindlichkeit der Deutschen allgemein und gegen ihre Landsleute ganz besonders zu beweisen. Dass die Deutschen laut Umfragen den NSU-Morden und ihrer rassistischen Ideologie dahinter so fassungslos gegenüberstehen wie die Angehörigen der Opfer, ging im Vorfeld des Streits um die Zulassung der türkischen Medien zum Prozess allerdings unter.

Streit um Presse-Plätze

Nach einem Entscheid des Verfassungsgerichtes mussten die nur 50 Presse-Plätze nochmals neu – dieses Mal per Losziehung – vergeben werden. 35 Medienplätze gingen an deutsche, zehn an ausländische Medien; fünf wurden in- und ausländischen Agenturen zugeteilt. Das Los führte dazu, dass einige der großen deutschen Blätter wie Stern oder Welt nicht dabei sein werden. Im Außenministerium in Berlin reagierte man dennoch erleichtert: Nun könnten ausländische Journalisten mitverfolgen, wie der deutsche Rechtsstaat mit rechtsextremen Straftaten umgehe.

Beate Zschäpe: Die 38-Jährige tauchte 1998 gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt unter, um einer drohenden Festnahme zu entgehen. Die drei Neonazis aus dem thüringischen Jena gründeten eine Terrorgruppe und nannten sich spätestens ab 2001 „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU). Zeugen beschreiben Zschäpe als gleichberechtigtes Mitglied; unter anderem soll sie das Geld verwaltet haben. Nach dem Tod ihrer Kumpanen am 4. November 2011 setzte Zschäpe die gemeinsame Wohnung im sächsischen Zwickau in Brand und verschickte die Bekennervideos mit dem „Paulchen Panther“-Motiv. Am 8. November stellte sie sich der Polizei in Jena. Seitdem sitzt sie in Untersuchungshaft – und schweigt.

Ralf Wohlleben: Der ehemalige Thüringer NPD-Funktionär mit Kontakten zur militanten Kameradschaftsszene soll Waffen für das Trio organisiert haben. Der 38-Jährige wurde am 29. November 2011 verhaftet und sitzt in U-Haft. Nach Ansicht der Ermittler wusste er von den Verbrechen – er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

Carsten S.: Der 33-Jährige hat gestanden, den Untergetauchten eine Pistole mit Schalldämpfer geliefert zu haben. Dabei handelt es sich höchstwahrscheinlich um die Waffe des Typs Ceska, die bei den Morden verwendet wurde. Er löste sich kurz darauf aus der Szene, lebte ab 2001 in Nordrhein-Westfalen und legte nach seiner Verhaftung im Februar 2012 ein umfangreiches Geständnis ab. Ende Mai kam er wieder auf freien Fuß. Er ist wegen Beihilfe zum Mord angeklagt.

Andre E.: Der gelernte Maurer (33) war seit dem Untertauchen 1998 einer der wichtigsten Vertrauten des Trios. Die Ermittler hielten ihn zunächst für den Ersteller des Bekenner-Videos. E. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.

Holger G.: Der 38-Jährige gehörte zur Jenaer Kameradschaft. G. spendete Geld, transportierte einmal eine Waffe nach Zwickau und traf sich mehrfach mit dem Trio. Von Überfällen und Morden will er nichts gewusst haben. Nach der Verhaftung im Jänner 2012 kam er Ende Mai wieder auf freien Fuß. G. ist als mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe angeklagt.