Wenn die zweite Wahl gewinnt
Von Evelyn Peternel
"So sehen Sieger aus", singen sie im Publikum; und dem Mann auf der Bühne ist das fast ein wenig unangenehm. Denn streng genommen kann man sagen: So sehen Sieger eigentlich nicht aus. Armin Laschet, randlose Brille, Anzug von der Stange, immer ein wenig zu verbindlich und zu nett, wirkt nicht wie der geborene Sieger; und darüber spöttelten lang auch jene, die ihn nun am Wahlabend besingen.
Die Unerwarteten
Dass der 56-Jährige die Wahl in Nordrhein-Westfalen für sich entscheiden konnte, die "rote Herzkammer" erst zum zweiten Mal seit 50 Jahren schwarz färbte, passt ebenso wenig ins Konzept des politisch Erwartbaren wie der Sieg seines Gegenübers von der FDP. Christian Lindner, im Auftreten so ziemlich das genaue Gegenteil des CDU-Chefs, kam am Sonntag auf 12,6 Prozent; er reanimierte die scheintot wirkende Yuppie-Partei damit nicht nur, sondern führte sie in überraschende Höhen. Der marktschreierische, immer mit ein bisschen zu viel Selbstbewusstsein ausgestattete Lindner und der ruhige, immer als viel zu höflich verschriene Laschet als Wahlsieger – wie geht das?
Beständigkeit siegt
Die Antwort liegt wohl darin, dass beide lange unterschätzt wurden – und sich das zunutze gemacht haben. Laschet, von Berufs wegen Jurist und Journalist, war für seine Partei lange Zeit viel zu links – und damit immer zweite Wahl. Er wurde belächelt, als herauskam, dass er als Dozent Klausurarbeiten verschlampt und dennoch sehr gute Noten vergeben hatte; er wurde als "Türken-Armin" verlacht, als er 2005 in NRW als erster Integrationsminister der BRD antrat.
Viel davon saß er aus, und diese Fähigkeit – die ihn mit Angela Merkel verbindet – nutzt ihm, weil man ihn wie sie mit Beständigkeit verbindet. Dass er stets betonte, NRW sei ein Einwanderungsland, überzeugte so manchen SPD-Wähler davon, dass man integrationsfreundlich und hart bei innerer Sicherheit sein kann. Dass die AfD sich in Selbstauflösung übte und ihm mit CDU-Talkshow-Ikone Wolfgang Bosbach ein Schwergewicht zur Hilfe eilte, tat sein Übriges – er holte Merkel-Skeptiker an Bord, ohne dass "der nette Armin" sich verbiegen musste.
One-Man-Show
Jemand anderem die Bühne zu überlassen, würde dem anderen Wahlsieger vom Sonntag indes wohl kaum einfallen. Christian Lindner, erst 38 Jahre alt, hat aus der angeschlagenen FDP das gemacht, was ihr früher Stimmen brachte: Er hat sie wieder zur One-Man-Show umgestaltet – wenn er spricht, giftet und scherzt, fühlt man sich unweigerlich an Guido Westerwelle erinnert.
Auch Lindner übernahm die FDP, wie Westerwelle in den 90ern, in einer Krise; er kehrte die Scherben nach dem Bundestags-Aus zusammen. Damals wusste man kaum mehr über ihn, als dass er eine Haartransplantation hinter sich hat; Lindner war immer ein Mann für die zweite Reihe gewesen. Das scheint dem Wuppertaler genützt zu haben – er hat aus dem Fall seiner Vorgänger gelernt: Lindner behielt den aneckenden Gestus der FDP; schrill-plumpes Marketing à la Guidomobil und Wahlwerbung im Big-Brother-Container ließ er aber weg.
Weg vom Steuersenker-Image
Auch der populistischen Versuchung erlag er nicht, die überließ er der AfD. Im Gegenteil: Er mühte sich um Glaubwürdigkeit abseits der Steuersenkungs-Agenda – mit Themen wie Bürgerrechten, Digitalisierung und Bildung erreichte er jüngere Wähler; dies und seine geschickte Inszenierung – von seinem Werbespot im eng anliegenden Unterhemd wusste das ganze Land –, trieben ihm weibliches Klientel und SPD-Wähler zu.
Dass er im Herbst von Düsseldorf nach Berlin wechseln will, stört bislang niemanden; das pariert er – noch – mit Chuzpe. Der Hang zur Überheblichkeit ist wohl auch der größte Unterschied zwischen ihm und Laschet: Warum eigentlich nicht mehr FDPler bei der Nachwahl-Pressekonferenz anwesend seien, wurde er am Montag gefragt: "Wir haben es immer so gemacht, dass der Bundesvorsitzende mit dem Spitzenkandidaten kam", sagte er da – grinsend. Denn auf den Podium saß nur er.