Politik/Ausland

Uganda: Neustart nach bestialischem Krieg

Als Anyii Lander 2007 nach all den Jahren im Flüchtlingslager wieder in sein Heimatdorf Alumeri in Norduganda zurückkehrte, stand er vor dem Nichts. Der kleine Bauernhof seiner Familie wurde im Zuge der Kämpfe zwischen der Rebellentruppe „Lord’s Resistance Army“ (LRA) rund um den Warlord Joseph Kony und Regierungssoldaten völlig zerstört. Der Dschungel, besser gesagt das Buschland, hatte Straßen und Ackerflächen zurückerobert. Und die allermeisten Wasserstellen waren unbrauchbar.

100.000 Tote

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„In unserer Region tobten die schwersten Gefechte“, erzählt der heute 27-Jährige, „nach dem Waffenstillstand (2006, ein Friedenspakt kam nie zustande) trauten wir uns nur zögernd zurück. Anfangs hatten wir nur eine Decke, die wir unter einem Baum ausbreiteten, um darauf zu schlafen.“

Jetzt ist die mit Schilf gedeckte Rundhütte aus Lehm wieder aufgebaut. Auf den Feldern sprießt der Reis. Und die Wasserstellen wurden mithilfe der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (EZA; siehe unten) instand gesetzt.

Doch die Region ist noch immer von den fast 20-jährigen Bürgerkriegswirren gezeichnet. Mehr als 100.000 Menschen fielen ihnen zum Opfer. Zeitweise befanden sich zwei Millionen Ugander in Lagern, die von der Regierung eingerichtet worden waren, um die Bevölkerung besser gegen Angriffe der LRA schützen zu können. Die Provinzstadt Lira, die jetzt rund 170.000 Einwohner hat, hatte am Höhepunkt des Konflikts bis zu einer Million.

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Der Weg zurück war steinig – und ist es bis heute: Während landesweit rund 25 Prozent unter der Armutsgrenze leben, sind es im Norden zwei Drittel. Und die seelischen Wunden sind noch längst nicht vernarbt, die Selbstmordrate ist in Norduganda dramatisch gestiegen.

Es gibt kaum eine Familie, die nicht mindestens ein Mitglied verloren hat. In manchen Gebieten wurden 90 Prozent der Bevölkerung von Konys LRA-Rebellen, der sich als Führer eines kruden fundamental-christlichen Gottesstaates hält, verschleppt. Viele wurden mit Macheten in Stücke gehackt, Frauen massenhaft vergewaltigt, Kinder und Jugendliche zwangsrekrutiert.„Die Typen waren gut informiert. Als sie 2002 in mein Dorf kamen, kannten sie sogar meinen Namen, sie zerrten mich aus der Hütte und nahmen mich mit“, schildert Thomas Kidega. Gerade einmal 17 Jahre war er damals, für die nächsten zwei Jahre musste er für die LRA in deren obskuren Krieg ziehen. „Ich musste Leute töten. Hätte ich mich geweigert, hätten sie mich erschossen“, sagt der heute 28-Jährige mit leiser Stimme.

Mit einer kleinen Gruppe sei ihm schließlich die Flucht gelungen. Obwohl er später in einer Klinik in Lira einen Monat lang psychologisch betreut worden sei, würden ihn die Ereignisse von damals immer noch einholen, nachts, in Form von Albträumen. Von seiner Dorfgemeinschaft sei er aber nicht feindselig aufgenommen worden. Geholfen habe dabei ein traditionelles Versöhnungsritual: Dabei werde ein Ei zerschlagen, wodurch der böse Fluch ein Ende habe.

Wahrheitskommission

Dass der Versöhnungsprozess primär auf einer solchen informellen Ebene abläuft, stört Michael Otim vom „International Center of Transitional Justice“. Seine Organisation versucht den Konflikt mit den staatlichen Institutionen aufzuarbeiten, um künftig ein friedliches Miteinander zu sichern. „Es gab so viel Leid. Die Opfer und deren Hinterbliebenen verdienen Gerechtigkeit“, fordert Otim, der der Regierung „mangelnden politischen Willen bei der Umsetzung dieses gesellschaftlichen Prozesses“ vorwirft.

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Für diesen müssten den Haupttätern der Prozess gemacht werden: Neben Kony, der vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl gesucht wird und sich mit 100 verbliebenen Kämpfern irgendwo zwischen dem Ostkongo, der Zentralafrikanischen Republik und dem Südsudan herumtreibt, stehen zwei weitere Top-Kommandanten im Visier, ein vierter ist verstorben. Für alle anderen gilt ein Amnestiegesetz. Zudem müssten die Opfer Entschädigungszahlungen erhalten, und die Täter müssten sich entschuldigen. Am wichtigsten sei aber eine Art „Wahrheitskommission“, mit der alle Übergriffe aufgearbeitet werden – auch die der Regierungssoldaten.

Werde dieser Pfad der Versöhnung nicht schnell beschritten , so Otim, könnten erneut Konflikte aufbrechen. Doch den leidgeprüften Menschen wie Anyii Lander ein zweites Mal zuzumuten, wieder bei null zu starten, würde ihre Kraft wohl übersteigen.

Drei Mal pro Tag wuchtet Betty Achen, 27, den 25-Liter-Kanister voll mit Trinkwasser auf ihren Kopf und schleppt ihn rund 400 m weit zu ihrer Hütte im Dorf Barwala hier in Nord-Uganda. Das ist Schwerstarbeit, dennoch ist die Mutter glücklich. Denn nach einer Intervention der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) hat sie endlich sauberes Wasser.

„Früher tranken die Kühe dort, wo wir das Wasser holen. Jetzt ist die Quelle mit einem Zaun gesichert. Meine Kinder haben deswegen viel weniger oft Durchfall“, erzählt die junge Frau. Im Rahmen des Projektes wurde für die Dorfgemeinschaft auch ein 500-Dollar-Fonds aufgelegt. Daraus können Familien Darlehen von umgerechnet maximal 40 Dollar beziehen – wenn ein Spitalsaufenthalt ansteht, oder als Starthilfe für eine kleine Seifen-Produktion. Wird unter Anleitung weiter in Umweltmaßnahmen investiert, etwa in den Uferschutz, damit die Bäche nicht verschlammen und das Geschiebe flussabwärts so nicht für Verstopfungen in den Trinkwasser-Kanälen der Städte sorgt, wird ein weiterer 500-Dollar-Fonds nachgeschossen.

Vielfältiger Ansatz „In ländlichen Regionen haben 68 Prozent Zugang zu sauberem Trinkwasser. In Städten sind es 78 Prozent. Unser Ziel bis 2015 sind die 100 Prozent“, sagt Ephraim Kamuntu, Ugandas Umwelt- und Wasserminister. Er lobt die Bemühungen der EZA, die sich seit Mitte der 1990er-Jahre in dem Schwerpunktland speziell den Themen Wasserversorgung und Hygiene verschrieben hat. „Wir versuchen mit zehn Millionen Euro jährlich mit der Regierung Projekte umzusetzen“, betont der von Wien in die Hauptstadt Kampala entsandte „Wasser-Koordinator“ Erwin Künzi. Das reicht von Quellfassungen über das Sammeln von Regenwasser auf Dachflächen in 10.000-Liter-Behältern bis zum Schlagen von Brunnen (im Schnitt kostet einer 5000 Euro) und ganzen Leitungssystemen in Distriktstädten.

Oyam im rückständigen Norden ist so eine. Schon von Weitem hörbar fördert ein Generator im Pumphaus das kostbare Nass in einen 300.000-Liter-Tank. Von dort fließt es in die Haupt-Leitungen und dann weiter zu den einzelnen Anschlüssen. „Mit den Lokalverantwortlichen und dem örtlichen ,Water Board‘, eine Art Kontroll- und Durchführungsorgan, haben wir das Schema für 35.000 Menschen ausgelegt, derzeit zählt Oyam 10.000 Einwohner. Wir haben die Hauptstränge dort verlegt, wo wir meinen, dass sich die Stadt hinentwickeln wird. Das war schon eine Herausforderung“, sagt Künzi, der die Gesamtkosten mit 382.000€ beziffert.

Der Bauer Viktor Amuja, 63, und seine Frau Eronika, 53, die zusammen zehn Kinder haben, brauchen jetzt nur noch vor ihre Lehmhütte gehen und können sauberes Wasser aus ihrem Direktanschluss „zapfen“. Obwohl das Paar wie viele in der Stadt über den vermeintlich hohen Preis jammert – 1000 Liter kosten rund 75 Eurocent, soviel wie ein Bier in einem Restaurant –, sei das Leben schon angenehmer geworden, berichten die beiden unisono.

Seit Beginn der EZA-Aktivitäten wurde mehr als eine Million Ugander an das öffentliche Wassernetz angebunden. Österreich ist damit unter den internationalen Gebern in dieser Kategorie top. Wobei alle Staaten, die dem Land auf die Sprünge helfen wollen, jüngst einen herben Rückschlag hinnehmen mussten.

Nachdem im Vorjahr ein Korruptionsskandal um Hilfsgelder aufgeflogen war, haben viele europäische Länder, darunter auch Österreich, ihre Zahlungen teilweise eingestellt. Bisher wurden mehr als 200 Millionen Euro zurückbehalten. „Unsere Wasser-Projekte“, so Künzi, „laufen aber weiter.“