Politik/Ausland

"Niemand soll unkontrolliert nach Europa kommen"

Angesichts der Flüchtlingskrise entlang der Balkanroute kommen am Sonntag die Staats- und Regierungschefs der betroffenen Länder zu einem Sondergipfel in Brüssel zusammen. An dem Treffen nehmen neben zehn EU-Staaten auch Serbien, Albanien und Mazedonien teil. Österreich wird durch Bundeskanzler Faymann vertreten sein. Ziel ist es, das Vorgehen abzustimmen und Sofortmaßnahmen zu beschließen.

KURIER: Herr Bundeskanzler, Kommissionspräsident Juncker will mit einem 16-Punkte-Plan den Flüchtlingstreck über die Balkanroute eindämmen. Wie kann das gehen?

Werner Faymann: Derzeit sind Tausende Flüchtlinge auf der Balkanroute unterwegs. Wenn es nicht rasch gemeinsame Aufnahmezentren, einen gemeinsamen europäischen Grenzschutz, ein Abkommen mit der Türkei und finanzielle Hilfe für die Lager um Syrien gibt, dann ist ganz klar, was passiert: Dann stehen wir im Frühjahr vor nahezu unbewältigbaren Aufgaben.

Wie ist das zu verhindern?

Die Hotspots an den Außengrenzen müssen so schnell wie möglich voll funktionsfähig sein, damit die Menschen, die eine Chance auf Asyl haben, geordnet und kontrolliert auf die EU-Länder gemäß der Quote verteilt werden können. Jene, die kein Recht auf Asyl haben, müssen von den Hotspots aus in ihre Heimat zurückkehren. Niemand soll sich mehr unkontrolliert auf den Weg nach Europa machen können.

Der Ton am Balkan wird immer rauer, es herrscht Chaos entlang der Balkan-Route. Was müssen die betroffenen Länder tun?

Am Balkan gilt es, die Zusammenarbeit unter den Staaten zu verbessern. Die Flüchtlinge müssen in den Ländern versorgt werden, sie können nicht nur weitergeschoben werden. Auch Österreich hat bis Jahresende zwischen 70.000 und 80.000 Menschen in der Grundversorgung. Andere Länder müssen auch Verantwortung übernehmen. Die Flüchtlingsfrage kann nicht nur von Deutschland, Österreich oder Schweden gelöst werden.

Wie groß ist das Risiko, dass sich der Exodus über die Balkanroute in eine humanitäre Tragödie verwandelt?

Das Risiko ist dann gering, wenn es uns gelingt, gemeinsam zu handeln. Wer glaubt, mit Grenzzäunen die Flüchtlinge stoppen zu können, hat das Problem nicht gelöst, sondern es nur dem Nachbarn zugeschoben.

Die Flüchtlingskrise hat sich bereits in eine schwere Vertrauenskrise der Menschen gegenüber den Regierenden und der EU gewandelt. Wie sehen Sie das?

Es geht um die Zukunft Europas. Darüber ist derzeit gerade ein Wettstreit im Gange.

Wer streitet mit wem?

Auf der einen Seite stehen Länder, denen es um eine gemeinsame Lösung der Flüchtlingsfrage geht. Diese Länder wollen zeigen, dass die EU in Katastrophenfällen handlungsfähig ist und ihre Aufgabe erfüllt. Auf der ander Seite stehen jene, die sich auf nationale Lösungen zurückziehen. Nationale Lösungen alleine sind jedoch kurzsichtig, politisch führen sie nicht zum Ziel. Gemeinsamkeit versus nationalem Handeln und auf Mauern setzen – das ist der Wettstreit. Wir befinden uns in der EU an einem historischen Knackpunkt.

Ist die EU schon gescheitert?

In einigen Jahren wird uns der Blick zurück zeigen, ob die EU durch die Lösung einer humanitären Katastrophe zusammengewachsen und stärker geworden ist. Dann werden wir auch sehen, ob es uns gelungen ist, Menschlichkeit und Ordnung zusammenzuführen.

Es gibt nachhaltigen Widerstand osteuropäischer Länder gegen einen fairen Lastenausgleich. Die Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien funktioniert nicht. Wie sind die Quoten-Gegner zu überzeugen?

Ich bleibe dabei, wir müssen das nicht solidarische Verhalten dieser Länder mit der Finanzfrage verbinden. Im bestehenden Finanzrahmen oder bei den Verhandlungen für das nächste EU-Budget muss unsolidarisches Verhalten klare Konsequenzen haben. Es kommt jetzt Bewegung in die Diskussion: Jene Kollegen, die zuletzt gefunden haben, es ist zu früh zu drohen, nähern sich bereits meiner Position an.

Also Sanktionen für die Quoten-Gegner?

Ja, man muss es mit den Finanzen verknüpfen.

Hass, Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und Schulen, wie zuletzt in Schweden, sowie Tabubrüche nehmen zu. Kann die Politik die Aggressionen der Menschen noch steuern?

Wir befinden uns in der härtesten Zerreißprobe. Und die Opportunisten, die mitschwimmen mit den Sprüchen der rechten Nationalisten, verschärfen diese Zerreißprobe. Wir müssen eine Grenze ziehen zwischen der Suche nach europäischen Lösungen und deren Umsetzung und den Leuten, die nur hetzen. Ich habe noch keinen Vorschlag rechter Nationalisten gehört, der funktioniert, und uns bei der Lösung der Flüchtlingskrise weiterbringen würde.