NATO legt Kooperation mit Russland auf Eis
Von Stefan Schocher
Das Treffen der 28 NATO-Außenminister in Brüssel hatte noch nicht begonnen, da stellte Moskau schon die Rute ins Fenster. Eine Annäherung der Ukraine an die NATO, so hieß es in einer Stellungnahme des russischen Außenministeriums vom Dienstag, habe schon in der Vergangenheit negative Auswirkungen gehabt. Zudem sei die ukrainische Gesellschaft zu dem Thema gespalten. Der verbalen Rute nicht genug: In großer Zahl stehen russische Truppen nach wie vor direkt an der ukrainisch-russischen Grenze.
Bis Mittwoch werden die Außenminister der NATO-Länder über die Ukraine-Krise beraten. Auf mehr als eine schwache Drohgebärde gegenüber Russland konnte man sich vorerst aber nicht einigen: Die militärische Kooperation der NATO mit Moskau wird ausgesetzt – die politische dagegen nicht.
Auf der Agenda steht auch eine mögliche Verstärkung der militärischen Unterstützung für die Ukraine. Die Rede ist von nicht-militärischem Gerät. Zudem geht es um gemeinsame Manöver. Polen will zwei schwere Brigaden im Osten des Landes stationieren – das wären rund 10.000 Soldaten. Etwas, das NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nicht möchte. Truppenverstärkungen in den östlichen Mitgliedsstaaten wird lediglich geprüft. Bisher besteht in den Reihen der NATO nur Einigkeit darüber, den Luftraum über dem Baltikum verstärkt überwachen zu wollen – eine an sich seit Langem geplante Maßnahme.
In der Ukraine selbst wird das Thema einer Annäherung an die NATO zwar nicht lautstark besprochen – zu konfliktträchtig ist es vor allem im Osten des Landes. Ein Thema ist es aber allemal. Am Dienstag stimmte das Parlament in Kiew einer Reihe von Militärübungen mit NATO-Staaten zu. Vor allem die jährliche Marineübung Sea Breeze zusammen mit der US-Navy könnte dieses Jahr interessant werden – hatte sie in den vergangenen Jahren doch immer wieder zum Ärger Moskaus auch die jetzt von Russland einverleibte Krim miteinbezogen.
NATO-Annäherung
Viele in den Reihen der neuen Führung in Kiew wünschen sich jedenfalls enge Bande zu dem westlichen Militärbündnis – zum Schutz vor russischen Aggressionen, wie es immer wieder heißt. Klar ist aber: Eine im vergangenen Jahrzehnt wiederholt in der Ukraine diskutierte Mitgliedschaft war intern auf großen Widerstand gestoßen. Russlands Machtübernahme auf der Krim und der Truppenaufmarsch an der Grenze, könnten diese Stimmung jedoch ändern.
Russland hat laut ukrainischen Angaben bis zu 100.000 Soldaten entlang der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Laut NATO sind es rund 40.000, die in voller Kampfbereitschaft verharren. Laut Angaben der deutschen Bundesregierung hat Russlands Präsident Wladimir Putin in einem Telefonat mit Kanzlerin Angela Merkel den Abzug eines Bataillons (bis zu 1000 Soldaten) angekündigt. Als "kleines Entspannungssignal" wertete Deutschlands Außenminister Frank Walter Steinmeier das – sollte es eintreten.
Die USA hegen jedoch Zweifel. "Wir können das bisher nicht erkennen", so ein Sprecher des Weißen Hauses. Ebenso äußerte sich Rasmussen: Er könne das "bedauerlicherweise" nicht bestätigen. Und ein NATO-Offizier sagte am Rande des NATO-Treffens: "Wenn es einen Abzug gäbe, wüssten wir das mit großer Sicherheit." Und weiter: "Wir sehen eine große Anzahl von starken motorisierten Verbänden. Die stehen seit Tagen unbeweglich in der Landschaft. Und das beunruhigt uns sehr."
"Das kennen wir alle aus der Geschichte, solche Methoden hat schon der Hitler im Sudetenland übernommen."
Auch wenn der Name Putin nicht im gleichen Satz fiel, ging es in der Erklärung der Ukraine-Krise durch Finanzminister Wolfgang Schäuble immer um ihn und "die Russen": Sie könnten in der Ukraine unter dem Vorwand des Schutzes ihrer Landsleute einmarschieren, wenn die sich von Nationalisten bedroht fühlten, leitete Schäuble seinen Vergleich her. Zum Schluss biederte sich der 71-Jährige noch der Sprache der 15-jährigen Zuhörer an und beschrieb die Stimmung in den Nachbarstaaten: "Die haben alle ziemlich Schiss."
Der Vergleich der Lage der Ukraine mit der Okkupation des Sudetenlandes durch Hitler 1938 brachte Schäubles Auftritt bei einem EU-Projekttag für Berliner Schüler die mit der Zulassung von Journalisten wohl erhoffte Aufmerksamkeit. Der formal mächtigste deutsche Minister steht damit in einer Reihe mit US-Ex-Außenministerin Hillary Clinton und dem tschechischen Ex-Außenminister Karel Schwarzenberg, die für den Vergleich wieder heftig beachtet wurden. Mit dem Unterschied, dass nur Schäuble noch im Amt ist – und nach der Kanzlerin Nummer zwei der Union in der Regierung.
Zurückhaltung
Merkel bemüht sich intensiv, die Krise durch den Westen nicht eskalieren zu lassen. Dazu gehört demonstrative verbale Zurückhaltung gegenüber Putin. Dass sich ausgerechnet Schäuble darüber hinwegsetzte, ärgert sie sehr. Auf Druck aus dem Kanzleramt kam am Abend des Montags ein formales Dementi aus dessen Ministerium: "Sollte der Eindruck entstanden sein, der Minister hätte den russischen Präsidenten mit Hitler verglichen, wäre dies falsch."
Merkel hatte sich schon zuvor distanziert, ebenfalls vor Schülern: "Ich betrachte den Fall der Annexion der Krim als einen für sich stehenden. Und da habe ich schon alle Hände voll zu tun, denn es handelt sich ganz eindeutig um einen Verstoß gegen das internationale Recht. Und das ist es, was zählt."
Lakonisch beantwortete SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der sich ebenfalls um die Moderatorenrolle Deutschlands bemüht, die Frage, ob Schäubles Rede hilfreich sei: "Nein."
Die Opposition sieht die Rede noch kritischer und spricht von "Verniedlichung des Massenmörders Hitler". Schäuble solle sich bei Putin entschuldigen, fordert die "Linke". Die als einzige dessen Krim-Okkupation völkerrechtlich mit dem NATO-Angriff auf Serbien 1992 zur Befreiung des Kosovo vergleicht.
Schäuble, seit 1972 im Bundestag und seit letzter Woche längstdienender deutscher Abgeordneter aller Zeiten, gilt nun immer mehr Kritikern als müde: Sein Vergleich zeige, dass seine "politischen Instinkte immer mehr erlahmen", so Handelsblatt-Chef Gabor Steingart.