"Nationalismus kann zu Krieg führen"
Was passiert auf der Balkanroute, wenn Länder wie Deutschland und Österreich rigoros die Grenzen dichtmachen? – Das ist bisher zwar eine theoretische Frage, setzte aber die EU-Innenminister bei ihrem Krisentreffen am Montag in Brüssel enorm unter Druck.
Ein Bedrohungsszenario entwarf Luxemburgs Außen- und Migrationsminister Jean Asselborn für den Fall der Fälle: „Es fehlt der Kitt, Werte und gemeinsames Handeln zerbröseln, die EU kann auseinanderbrechen. Das kann unheimlich schnell gehen, wenn Abschottung statt Solidarität nach innen wie nach außen die Regel wird.“ Dramatischer Nachsatz: „Dieser falsche Nationalismus kann zu einem richtigen Krieg führen.“ Um das Schlimmste zu verhindern, pochten einige Minister erneut und mit Vehemenz darauf, bisherige Beschlüsse umzusetzen. Dazu gehören eine faire Verteilung der Flüchtlinge in der EU, funktionierende Registrier- und Aufnahmezentren (Hotspots) in Griechenland und Italien, genügend Personal sowie verstärkte Kontrollen der EU-Außengrenzen.
Um das Chaos entlang der Balkan-Route zu ordnen, soll es nun Registrierzentren in den Transitländern geben. Damit soll Griechenland entlastet werden. Asselborn, der das Innenminister-Treffen leitete, betonte, dass die elf Hotspots in Italien und Griechenland bis Ende November funktionieren werden. In Italien ist bisher nur ein einziger geöffnet. Probleme gibt es bei der Verteilung von 160.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien auf die anderen EU-Staaten. Das geht nur in homöopathischen Dosen vor sich. 155 Personen sind bis dato verteilt, ein knappes Tausendstel.
Druck auf Athen
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner verlangte von Griechenland, die Grenze zur Türkei besser zu kontrollieren. Es sei „ein Mythos“, dass Griechenland dies mit seiner starken Marine nicht schaffen könne. Nun brauche es „Tempo Tempo Tempo, um die Migrationsströme zu dämpfen“, sagte Mikl-Leitner.
Bei der ÖVP-Ministerin klang deutlich Kritik an jenen Ländern durch, die bisher keine Flüchtlinge aufnehmen. „Sie tun so, als würde es sie nichts angehen.“ Sie drängte auf Hilfen für Flüchtlingscamps am Balkan und der Türkei. Es müsse sofort Geld geben, dass die Menschen „nicht getrieben sind, die Flüchtlingscamps zu verlassen“. Ein Ende der Migrationsflut ist aber noch nicht absehbar. Am Montag kamen 10.000 Flüchtlinge an der mazedonischen Grenze an. Wie der KURIER erfuhr, machen sich derzeit besonders viele Flüchtlingsfamilien aus der Türkei auf den Weg nach Europa. Sie sind informiert und wollen EU-Staaten erreichen, bevor Asylbestimmungen und Regeln für den Familiennachzug für syrische Kriegsflüchtlinge weiter verschärft werden.
Türkei-Bericht
Am Dienstag werden nach mehrmaligem Verschieben die Fortschrittsberichte zu den EU-Beitrittswerbern, darunter auch die Türkei, in Brüssel vorgestellt. Damit in engem Zusammenhang steht die weitere Kooperation mit Ankara in der Flüchtlingsfrage.