Politik/Ausland

Nahost - Expertin: Kriegsziele Israels "zu ambitioniert"

In Israel setzt sich nach Einschätzung der Nahost-Expertin Lidia Averbukh allmählich die Erkenntnis durch, dass die von der Regierung ausgegebenen Kriegsziele "zu ambitioniert" seien. "Israel hat zwei definierte Ziele: die Hamas zu zerstören und die Geiseln zu befreien", sagte die Politikwissenschaftlerin der Bertelsmann-Stiftung der Nachrichtenagentur AFP. Der Iran hat ihre Meinung nach kein Interesse an einer Ausweitung des Krieges im Gazastreifen.

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"Wenn das die Bedingungen für ein Ende des Krieges sein sollten, dann könnte dieser Krieg noch eine ganze Weile dauern", sagte Averbukh mit Blick auf die Kriegsziele Israels. "Die Hamas zu zerstören und angesichts der komplizierten Kämpfe auch die Geiseln zu befreien, ist sehr schwierig", sagte die Politologin, die an der Bundeswehruniversität in München unter anderem zum israelischen Rechtssystem forschte.

Keine klaren Ziele

In fast drei Monaten Krieg habe sich gezeigt, "dass es nicht ohne Weiteres geht, die Hamas zu zerstören". Zudem habe die israelische Führung dieses Ziel von Anfang an auch nicht klar definiert. "Aber selbst wenn es darum geht, die wichtigsten Köpfe der Hamas auszuschalten, könnte auch dieses Vorhaben noch mehrere Monate dauern."

Für ein Umdenken im festgefahrenen Nahost-Konflikt sieht Averbukh derzeit "keine Anhaltspunkte" - weder bei Israelis noch bei Palästinensern. Derzeit spreche eher vieles dafür, dass der Konflikt sich "verstetigt und vielleicht noch grausamer werden könnte".

 Davon zeugten aktuelle Umfragen in Israel und den Palästinensergebieten: "Aus beiden geht hervor, dass eher das verstärkt wird, was vor dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober an Ressentiments und Einstellungen bestand", sagte Averbukh.

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Nicht nur würden 38,5 Prozent Israelis laut einer Umfrage des Forschungszentrums Israel Democracy Institute die gleichen Parteien wählen. Auch 43 Prozent der Palästinenser sprechen sich laut einer Erhebung des palästinensischen Umfrageinstituts PSR für die Hamas als politische Partei aus und damit laut Averbukh "21 Prozent mehr als vor dem Hamas-Überfall". 

63 Prozent der Palästinenser sehen demnach im "gewaltsamen Widerstand" die Lösung, um das Ende der Besatzung sowie die Errichtung eines unabhängigen Palästinenserstaates herbeizuführen.

Rolle des Iran

Der Iran hat laut Averbukh kein Interesse an einer Ausweitung des Krieges im Gazastreifen. Der Iran sei zwar daran interessiert, den Konflikt zwischen der Hamas und Israel "auch in diesem Ausmaß so lange wie möglich aufrechtzuerhalten", sagte sie. Teheran wolle aber "nicht zu viel der eigenen Stärke verspielen" und daher nicht riskieren, dass die Eskalation "zu groß" werde.

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Der Iran wisse genau, dass er im Falle einer von vielen befürchteten Ausweitung des Krieges etwa im Libanon oder im Roten Meer "gegenüber Israel im Verbund mit den USA unterlegen wäre". "Das erklärt auch, warum die Unterstützung der Hamas durch seine Verbündeten wie der Hisbollah im Libanon nicht so intensiv ist, dass sie eine neue Front aufmachen", sagte Averbukh. Denn Teheran sei auch hinsichtlich seiner eigenen Verteidigung auf die schiitisch-islamistische Hisbollah-Miliz angewiesen.

Hisbollah und Houthis 

Solange der Krieg andauere, verzeichneten der Iran und seine Verbündeten insbesondere unter den Palästinensern wachsende Sympathien, sagte die Expertin. Aktuelle Umfragen zeigten, dass der Iran unter den Palästinensern mit der Hisbollah und den Houthis im Jemen zu den populärsten regionalen Akteuren gehörte, die sich jetzt ins Spiel brächten und Israel und Schiffe im Roten Meer angriffen. Dies sei aus Sicht Teherans eine positive Entwicklung. "Es soll aber nicht die Schwelle überschritten werden, bei der er selbst zum Ziel werden könnte."

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Einerseits sei klar, dass der Hamas-Angriff "nicht ohne iranische Hilfe möglich gewesen wäre", sagte Averbukh. "Nur durch finanzielle und militärische Unterstützung durch den Iran konnte die Hamas ihr Waffenarsenal ansammeln, eigene Waffenfabriken aufbauen und sich derart auf diesen Krieg vorbereiten."

Dass Teheran auch bei den aktuellen Vorfällen, etwa bei den Houthi-Angriffen im Roten Meer, "im Hintergrund die Fäden zieht", könne hingegen nicht nachgewiesen werden. Irans Verbündete hätten vielmehr "eigene Strukturen und Interessen".

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Seit dem Beginn des Krieges zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen am 7. Oktober hat die Houthi-Miliz wiederholt Schiffe vor der Küste des Jemen attackiert. Laut dem US-Verteidigungsministerium griffen die mit der Hamas verbündeten Rebellen bisher insgesamt zehn Handelsschiffe mit Drohnen und Raketen an. 

Die Huthi sehen sich wie die Hisbollah und die Hamas als Teil der gegen Israel gerichteten selbst ernannten "Achse des Widerstands".