Konflikt im Nahen Osten: Wie stark die Weltwirtschaft drunter leiden könnte
Aktienkurse runter, Gold- und Ölpreise rauf: Die Finanzmärkte reagieren nervös auf den Abschuss von Drohnen über der Stadt Isfahan im Zentrum Irans.
Seit Tagen wird mit einer Reaktion Israels gerechnet, nachdem das Land am Wochenende erstmals direkt von Iran angegriffen wurde - mit Hunderten Drohnen und Raketen. Warum ein Flächenbrand in der Region das Zeug dazu hat, die Weltwirtschaft auszubremsen, die Inflation wieder anzuheizen und die erwartete Zinswende zu verschieben.
Warum stiegen die Ölpreise?
Iran als wichtiger Produzent innerhalb der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) fördert derzeit mehr als drei Millionen Barrel Rohöl pro Tag. Sollte Israel die iranische Energieinfrastruktur ins Visier nehmen, könnte das die Versorgungslage auf den Weltmärkten beeinträchtigen.
Allerdings verfügt die Opec selbst über mehr als fünf Millionen Barrel pro Tag an freien Produktionskapazitäten, so eine Analyse der Bank ING. Um die Nachfrage durch stark gestiegene Preise nicht zu stören, könnte das Ölkartell zumindest einen Teil dieser Reservekapazität auf den Markt werfen und so das Problem mindern.
Allerdings hat der Iran für den Fall eines Konflikts bereits mehrfach damit gedroht, die für die globale Ölversorgung wichtige Straße von Hormus zu sperren. Durch die Meerenge, die den Persischen Golf mit dem Golf von Oman verbindet, muss rund ein Fünftel der weltweiten Öltransporte.
Wie stark könnten die Ölpreise steigen?
Die Commerzbank-Ökonomen Thu Lan Nguyen und Carsten Fritschgehen davon aus, dass der Ölpreis auch wegen der Spannungen in der zweiten Jahreshälfte auf 90 bis 95 Dollar je Fass steigen dürfte - fünf Dollar mehr als bislang angenommen.
„Unserer Ansicht nach ist eine mögliche Fortsetzung eines direkten Konflikts zwischen dem Iran und Israel auf dem aktuellen Markt nicht eingepreist“, warnen auch die Citi-Analysten. „Das könnte dazu führen, dass die Ölpreise je nach Art der Ereignisse auf über 100 Dollar pro Barrel ansteigen.“ Das Nordseeöl Brent und das US-Öl WTI verteuern sich am Freitag zeitweise um mehr als vier Prozent auf 90,75 beziehungsweise 86,28 Dollar je Fass.
Was bedeuten höhere Ölpreise für die Inflation?
Der Internationale Währungsfonds (IWF) macht folgende Rechnung auf: Steigen die Ölpreise um 15 Prozent infolge eines verschärften Nahost-Konfliktes, erhöht das die weltweite Inflationsrate um 0,7 Prozentpunkt, wie IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas vorrechnet und auf höhere Energiekosten verwies. Bislang geht der IWF davon aus, dass die globale Teuerungsrate in diesem Jahr auf 2,8 Prozent fallen wird, nachdem sie 2023 noch bei vier Prozent lag.
Was heißt das für die Weltwirtschaft?
Für die Weltwirtschaft verheißt das nichts Gutes. „Höhere Energieausgaben lasten auf der Kaufkraft privater Haushalte, was in weiterer Folge auch das gesamtwirtschaftliche Wachstum negativ beeinflusst“, sagt der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. „Aber auch Unternehmen sind von höheren Kosten für Öl, Gas & Co. negativ betroffen.“
Ein länger anhaltender Ölpreisanstieg würde sich „nachteilig auf die ohnehin fragile konjunkturelle Lage in Europa auswirken“, betont DZ-Bank-Ökonom Jan Holthusen.
Könnte sich die Zinswende verzögern?
Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte nach Prognose von Ökonomen im Juni ihren Leitzins erstmals wieder senken, nachdem sie ihn im Kampf gegen die Inflation auf das Rekordniveau von 4,5 Prozent angehoben hat. Auch die EZB hat das signalisiert. Allerdings könne „eine Eskalation des Iran-Israel-Konflikts“ die Entscheidung noch beeinflussen, warnt EZB-Ratsmitglied Gediminas Simkus. „Der verschärfte Konflikt im Nahen Osten mischt nun die Karten neu“, sagt auch VP-Bank-Ökonom Gitzel. Ob die EZB im Juni die Zinsen tatsächlich senkt, sei zumindest fraglicher geworden. Auch in den USA - wo wegen der hartnäckig hohen Inflation die lange für den Sommer erwartete Zinswende ohnehin fraglich ist - könnten steigende Ölpreise für eine Verzögerung sorgen.
Wie steht es denn um internationale Lieferketten?
Die mit Iran verbündeten Huthi-Rebellen im Jemen griffen in den vergangenen Monaten wiederholt Frachter im Roten Meer an, um ein Ende der israelischen Kampfeinsätze gegen die radikal-islamische Palästinenser-Organisation Hamas im Gazastreifen zu erzwingen. Die schnellste Schifffahrtsroute zwischen Europa und Asien wird seither von vielen Reedereien nach wiederholten Beschusses durch die islamistische Miliz gemieden. Stattdessen wird auf die längere Strecke über das Kap der Guten Hoffnung ausgewichen, was einen Umweg und damit höhere Kosten bedeutet. Allerdings hat das die Lieferketten bislang nicht in größerem Ausmaß gestört.
„Die Versorgung von Rohstoffen und Vorprodukten hat sich in der letzten Zeit deutlich verbessert“, sagt Ifo-Umfragechef Klaus Wohlrabe. „Die
Logistikbranche hat sich an die Verhältnisse im Roten Meer angepasst. Deshalb gibt es momentan weniger Probleme.“