Juncker und Schulz gegen EU-Beitritt der Türkei
Von Marie North
In der Wahlarena der ARD in Hamburg stellten sich die Spitzendkandidaten der europäischen Parteien, SPD-Politiker Martin Schulz (für Europas Sozialdemokraten) und der ehemalige luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker (Konservative), Dienstagabend den Fragen des Publikums. In dem amerikanischen sogenannten Townhall-Format fragten knapp 200 Bürger und Bürgerinnen im Studio nach. Thematisch war der Abend breit gestreut: Türkei, NSA, Freihandelsabkommen, Jugendarbeitslosigkeit, Freizügigkeit, Wasser, Lobbyismus und Rechtspopulisten. Juncker riskierte dabei den ein oder anderen lockeren Spruch, Schulz blieb dagegen ernst.
Wenig inhaltliche Unterschiede
Schulz sieht in naher Zukunft keinen Platz für die Türkei in der EU: "Ich glaube, dass die Türkei zum jetzigen Zeitpunkt nicht beitrittsreif ist", sagte er. Auch sein Kontrahent betonte, dass die Türkei demokratischer werden müsse.
Juncker hatte außerdem harte Worte für die Rechtspopulisten: Er wolle sich nicht mit Stimmen von Faschisten zum EU-Kommissionspräsidenten wählen lassen. "Ich würde die Wahl nicht annehmen", sagte der frühere luxemburgische Regierungschef.
Insgesamt gab es wenig Unterschiede zwischen den beiden Kandidaten. Beide bekannten sich zu strengen Regeln und zu Transparenz beim geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen mit den USA. "Man verhandelt nicht über Datenschutz", betonte Juncker zudem mit Blick auf die Debatten um Ausspähaktivitäten und die Macht von Konzernen wie Google.
Die beiden Politiker trafen schon am 8.5. in einem TV-Duell von ORF und ZDF aufeinander. Bei den EU-Wahlen treten die Spitzendkandidaten auch erstmals als potentielle Kommissionspräsidenten an. Schulz und Juncker versuchen, wo es geht auf Stimmenfang zu gehen. Allerdings bislang mit verhältnismäßig wenig Erfolg. Der Personenwahlkampf hat laut einer Umfrage nur bei 21 Prozent das Wahlinteresse gesteigert.
Die Wahlen zum EU-Parlament finden in den 28 Mitgliedsstaaten ab Donnerstag statt, in Österreich wird am Sonntag, den 25. Mai gewählt.
Liveblog-Nachlese
Damit ist die zweite TV-Konfrontation mit dem Satz
"Beschweren Sie sich nicht, es lohnt sich nicht"
von ARD-Moderatorenseite zu Ende.
Und auch dieser Liveblog wird damit beendet. Gute Nacht!
Bald kommt das Ende: Was sind die drei wichtigsten Anliegen als potentieller Kommissionspräsident?
Schulz:
- Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit
- Kampg gegen Steuerflucht
- Alles tun, um den Frieden nach innen zusichern. Schulz erwähnt lobend den deutschen Außenminister Steinmeier, ein SPD-Mann
Juncker:
- Wachstum und Beschäftigung
- Weiterkommen in der Verteidigungspolitik
- Steuerharmonisierung
Was halten die Kandidaten von einem Europa mit zwei Geschwindigkeiten?
Juncker: Alles was geht gemeinsam, wenn es geht.
Schulz: Die Zusammenarbeit der Länder müsse vertieft werden. Die Bürger hätten aber das Vertrauen in diese Zusammenarbeit verloren.
Vor allem beim Thema Türkei wurde das Verbot von Twitter als undemokratisch angeführt.
Juncker findet außerdem die deutsche Sprache schön.
Heikles Thema Türkei: Laut Schulz ist die Türkei derzeit nicht beitrittsreif.
Juncker: Die nächsten fünf Jahre wird kein weiteres Land beitreten können. "Wir müssen zuerst zu uns selbst finden." Aber man sollte weiter mit der Türkei verhandeln, das bringe das Land auch demokratisch weiter.
Jetzt geht es um den NSA-Skandal: Was wollen sie tun zum Schutz für die Bürger?
„Klasse Thema“ heißt es von Seiten des Moderators.
Schulz: „Die Verfügung über ihre Daten sind ihre Angelegenheit.“ Zum Thema NSA: Eine besorgniserregende Entwicklung, dass die US-Regierung keine Handhabe über die NSA hatte. In einem Datenschutzabkommen müssten die USA die EU-Standards respektieren.
Eine Frau mittleren Alters sorgt sich: Was werden sie tun, damit die Lebensgrundlagen aller Menschen in Europa geschützt bleiben?
Schulz: Die Lebensgrundlagen sind nicht verhandelbar, sondern garantiert.
Juncker meint, dass er in dieser Causa fast „fanatisch“ werde. Er ist dagegen, dass man alles in private Hände gibt.
Grundsätzliches: Schulz scheint für jede Frage „dankbar“ zu sein. Juncker hat dafür den ein oder anderen flotten Spruch auf den Lippen und wirkt lockerer in der Diskussion.
Ein älterer Mann sorgt sich um seine Stimme: „Was passiert mit meiner Stimme?“
Schulz: „Die Abgeordneten müssen sich selbst dem Lobbyismus entziehen.“ Er verstehe die Lobbyisten, aber die Abgeordneten seien den Wählern verpflichtet und nicht den Lobbyisten.
Frage an Juncker: Sind sie dafür, dass der Rat öffentlich tagt? Wann wird das Parlament mehr zu sagen haben als die Regierungschefs.
Juncker sieht das Problem auch in einer verwirrenden Berichterstattung über Sitzungen und deren Verläufe. Aber er ist auch für das Initiativrecht.
Die Grünen sind nicht in die Wahlarena eingeladen, dafür wird fleißig getwittert.
Nächste Frage an Juncker von einem jungen Mann: Das Grundrecht auf Freizügigkeit in Europa wird von populistischen Kampagnen missbraucht. Was wollen Sie dagegen tun?
Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sei laut Juncker ein Grundrecht seit den 50er Jahren, das Thema dürfe man nicht hochkochen. "Menschen sind mindestens so wichtig wie Kapital und Güter."
Eine junge Frau stellt die Frage nach dem Freihandelsabkommen und den Schiedsgerichten. Die Bevölkerung scheint dagegen zu sein. Würden Schulz oder Juncker als Präsident solche Abkommen verhindern?
Schulz würde von den USA verlangen, dass sie die EU-Standards akzeptieren. „Sondergerichte wird es mit mir nicht geben.“
Nächste Frage: Kann man sich mit den „Amis“ anlegen? „Die Bevölkerung hat den Eindruck, dass sie bankentechnisch und industriell regiert wird.“
Schulz: Allein nicht, deshalb sei der Zusammenschluss der Länder wichtig.
Juncker: Über den Datenschutz darf nicht diskutiert werden. „Amerikaner müssen auch mal zuhören, statt abhören.“ Es folgt obligatorischer Applaus.
Was wollen die Kandidaten in Sachen Flüchtlingspolitik tun?
Schulz kommt zuerst dran: Wir müssen unseren humanitären Pflichten nachkommen, wir dürfen die einzelnen Länder nicht allein lassen. "Wir brauchen ein legales Einwanderungsrecht."
Juncker hat offenbar gestern die Frontex-Agentur besucht. Juncker spricht sich für eine stärkere Solidarität zwischen den EU-Ländern im Norden mit den Ländern im Süden aus. Die europäische Entwicklungshilfe dürfe nicht nach "unten korrigiert werden" - "damit die Menschen nicht in Todesboote steigen müssen."
Es geht jetzt um die stärkere Einbindung der Bürger in Brüssel. Juncker: In „kleinen Dingen“ sollte die Kommission etwas weniger Einfluss haben, aber in den großen schon.
Schulz: „Je näher eine Entscheidungsfindung bei den Bürgern stattfindet, desto höher ist die Akzeptanz.“
Die nächste Frage:
Juncker: Die "Pluralität" der kleinen Ländern muss sich auch in Brüssel widerspiegeln.
Junger Mann stellt die Frage nach der Jugendarbeitslosigkeit. Wie will Schulz vorgehen? Schulz bezeichnet die Jugendarbeitslosigkeit als „Überlebensfrage“. In den Ländern, wo sie am höchsten ist, kriegen die mittleren und kleinen Unternehmen keine Kredite, führt Schulz aus. Schulz will ein Kreditprogramm für kleine und mittlere Unternehmen aufstellen.
Die Fragenden bleiben jung, diesmal richtet sich eine junge Frau an beide. Könnten sich Juncker und Schulz eine Kooperation mit den rechten Parteien vorstellen? Wenn Juncker nur Präsident mit Unterstützung der rechten Stimmen Präsident werden würde, würde er die Wahl nicht annehmen. Schulz schließt sich an.
Nach einer Vorstellungsrunde gibt es einmal eine Runde Applaus umsonst. Die Moderatoren führen aus, dass das Publikum repräsentativ für Deutschland zusammengesetzt wurde.
Die erste Frage stellt ein junger Musiker. Er spricht Juncker auf den Song Contest an. Steht für ihn der Sieg von Conchita Wurst auch für ein tolerantes Europa und findet er das auch gut? Juncker: „Ich bin wie sie ein toleranter Mensch, mir passt das!“ Allerdings ist das Lied nicht ganz nach seinem Geschmack.
Eine junge Frau fragt Schulz nach den Energiealternativen angesichts des Konflikts mit Russland. Schulz steht für die Energiewende, und: „Raus aus der Kernenergie.“
Nachdem das Vorprogramm "Um Himmels Willen" etwas überzogen hat, geht es endlich los.
Guten Abend. Demnächst geht es los. Die Kontrahenten haben bereits via Twitter ihre Vorfreude kundgetan.