Politik/Ausland

Nach Tsipras-Sieg: Jetzt beginnt der Kampf mit der EU

Syriza feiert ihren Sieg beim EU-Referendum. Autos mit Syriza-Fahnen brausen hupend durch das Zentrum von Athen. Tsipras-Fans versammelten sich Sonntagabend am Syntagma-Platz vor dem Parlament. Sie schwingen griechische Flaggen. "Die Linke hat gewonnen", schreien sie. Und: "Wir lassen uns von der EU nichts vorschreiben", steht auf Transparenten. Laut offiziellem Endergebnis stimmten 61,31 Prozent der Griechen mit Nein. Die Eurogruppe wird am Dienstag ab 18 Uhr in einem Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs das Ergebnis des Referendums diskutieren. Das gab EU-Gipfelchef Donald Tusk noch am Sonntag bekannt.

Tsipras fühlt sich gestärkt

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Mit diesem Votum fühlt sich Tsipras im Streit mit den internationalen Geldgebern gestärkt. "Nein" ist die Absage an das EU-Reformprogramm inklusive Sparmaßnahmen. Ministerpräsident Alexis Tsipras ist der Sieger des Abends. Am späten Abend meldete er sich in einer kurzen Ansprache zu Wort. Das klare Nein sei ein Sieg der Demokratie und kein Zeichen, mit Europa zu brechen. Diese Frage müsse ein für alle Mal vom Tisch genommen werden. Nach der Abstimmung erwarte er ein EU-Verhandlungsergebnis, das nachhaltig ist und den Griechen zugute kommt. Dringend notwendig seien Investitionen sowie die Umstrukturierung der Schulden. Die Griechen rief er auf, zur nationalen Einheit zurückzukehren.
Den Live-Ticker zum Referendum zur Nachlese finden Sie hier.

Samaras tritt zurück

Das "Ja"-Lager, das die EU-Vorgaben akzeptiert und im Euro bleiben will, zog die Konsequenzen aus der Niederlage. Der Chef der oppositionellen konservativen Partei Nea Dimokratia (ND), Antonis Samaras, trat zurück. Keiner weiß, wie es weitergeht mit Griechenland in der EU. Ein "Grexit" ist nicht mehr ausgeschlossen. Das hat auch der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble vor dem Referendum angekündigt. Gespannt warten die Griechen auf die nächsten Tage. Wie lange bleiben die Banken geschlossen? Wie werden internationale Geldgeber reagieren? Tsipras glaubt es zu wissen: "Der Wille und die Würde des Volkes können nicht ignoriert werden", beschwor er nochmals an der Wahlurne.

Finanzminister Yanis Varoufakis, der mit seinem 90-jährigen Vater an die Wahlurne schritt, beschimpfte einmal keine EU-Kollegen, er sprach von "einem Moment der Hoffnung für ganz Europa". Bis zuletzt haben beide Syriza-Politiker für ein "Nein" geworben und viel versprochen – ungeachtet der europäischen Fakten. Sie wollen eine rasche Einigung mit den internationalen Partnern, einen Schuldenerlass und weniger Sparauflagen für ein neues Hilfsprogramm. Das ist ihre Rhetorik.

Impressionen aus Athen

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Neue Finanzspritzen

In Wahrheit gibt es derzeit noch keine Verhandlungsgrundlage, keinen Vorschlag für ein drittes Hilfspaket, nachdem das zweite auf Wunsch der griechischen Regierung am 30. Juni abgelaufen ist. 240 Milliarden Euro haben die Gläubiger von EU, IWF und EZB in den vergangenen Jahren nach Griechenland überwiesen. Nach Berechnungen des IWF sind mindestes weitere 50 Milliarden nötig, um das von der Pleite bedrohte Land über Wasser zu halten.

Die Lage ist dramatisch, die Staatskasse ist leer. Der Regierungssprecher sagte am Abend, Griechenland werde sofort einen Antrag auf neue Gelder stellen. Doch die EZB darf und kann Griechenland nicht unbeschränkt Notfallkredite geben. Heute, Montag, gibt es eine Telefonkonferenz der EZB-Räte. Am Abend findet ein Krisentreffen zwischen der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident François Hollande in Paris statt. Beide sprachen sich nach einem Telefonat Sonntagabend für einen Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs schon morgen, Dienstag, aus. EU-Gipfelchef Donald Tusk hat einen Sondergipfel der 19 Euro-Länder für Dienstagabend in Brüssel einberufen. In intensiven Telefonkontakten stehen die Spitzen von Kommission, Parlament, Rat, EZB und IWF seit gestern Abend in Verbindung.

"Bettler vom Balkan"

Der "Nein"-Triumph von Tsipras wird nur kurz dauern. Verhandlungen mit den Geldgebern stehen erst bevor. "So oder so, wir sind die Bettler vom Balkan", spricht es Oppositionspolitiker Stavros Theodorakis, der Vorsitzende der Partei "To Potami", offen aus.Die Mehrheit der Griechen hofft weiter auf Geld und die Solidarität der EU. "Es wird alles so bleiben, die EU kann sich keinen Grexit leisten", sagte die 37-jährige Staatsangestellte Irina K. Sie wählte mit "Nein", dann fuhr sie an den Strand. Offen redete ein Herr vor dem Wahllokal im Athener Stadtteil Plaka über sein Wahlverhalten. "Ich habe immer konservativ gewählt, aber heute stimme ich mit Nein. Diese ständigen Ultimaten der EU dürfen wir uns nicht gefallen lassen."Die Marketing-Managerin eines Hotels stimmte mit "Ja". "Zur Drachme zurückzukehren wäre für mich ein Albtraum. Wir müssen in der Euro-Zone bleiben."

Sorge um Pensionen

Angst und Unsicherheit bei den Griechen überwiegen auch nach dem Referendum. "Wir brauchen einen Plan um weiterzukommen" (siehe Interview), so der Tenor vieler. Unüberhörbar ist die Wut auf Tsipras. "Er ist ein politischer Glücksspieler. In Verhandlungen mit internationalen Geldgebern hat er sich schon verzockt. Jetzt sind wir die Verlierer der Pokerpartie", schimpft ein emeritierter Universitätsprofessor. Er sorgt sich um seine Pension und sein Erspartes. Montag bleiben die Banken zu, was dann passiert, ist unbekannt. Durch das "Nein" werden die Verhandlungen mit den Geldgebern sehr schwierig, heißt es in Brüssel. "Ein Nein der Griechen ist auch ein Nein zu Europa", sagte Kommissionschef Jean-Claude Juncker.

Kaum ein Instrument der Demokratie eignet sich besser zum Schindludertreiben als das Referendum. Das wissen wir in Österreich nur zu gut. Aber just in der "Wiege der Demokratie" wurde das Referendum am Sonntag zu etwas missbraucht, das dem Ursprung des Begriffs ("Volksentscheid") Hohn lacht.

Den Griechen wurde vorgegaukelt, wählen zu dürfen. Zwischen "oxi", einem Nein zu Reformen, auf dass Athen eine stärkere Position gegenüber den Nichtmehr-Geldgebern habe. Und "nai", einem Ja zum Reformdiktat aus Europa mit unzumutbaren Einschnitten ins tägliche Leben. So zumindest argumentierten die Vorgaukler und Erfinder des Referendums.

Die Griechen sind dieser beispiellos populistischen Nein-Kampagne mit großer Mehrheit gefolgt. Sie gaben die Schuld an ihrer Misere der EU, nicht ihrer Regierung und deren Vorgängern.

Dennoch: Die Gaukler heißen Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis. Tsipras hat die Wahlen im Jänner mit der doppelt linken Versprechung gewonnen, den Griechen zur Gesundung des maroden Landes harte Maßnahmen ersparen zu können. Und er versteckte sich, als er an die Geldgeber-Grenzen stieß, hinter seinem Volk. Varoufakis hat sein Amt als Finanzminister in eine schnelle Hochglanz-Popularität gemünzt. Und verblüffte Freund und Feind mit einer arrogant-selbstgefälligen Chuzpe gepaart mit einer erratischen Dialog-Unfähigkeit.

Das ist das Personal, das ein Land retten soll, das ohne EU-Hilfe längst bankrott wäre.

Hilfspakete reichen nicht

In Wahrheit hätte Griechenland kein Referendum über ein Hilfspaket gebraucht, sondern eines über einen neuen Staat. Einen, der funktioniert. Einen, in dem Steuerzahlen keine Unzumutbarkeit ist. Einen, in dem Bürokratie nicht privilegierter Selbstzweck ist, sondern dem Volk dient. Einen, in dem Gesetze nicht für die ungestörte Bereicherung von ein paar Hundert Oligarchen gemacht und gebogen werden, und zwar von allen Regierungen bisher, sondern für die Menschen.

Das lässt sich nicht mit Hilfspaketen von außen bewerkstelligen, auch nicht mit von den Geldgebern diktierten Pensionskürzungen/Steuererhöhungen. Das kann nur von innen kommen. Und zwar dann, wenn die Bevölkerung eines erkennt: Dass es auf Dauer nicht reicht, sich mit den Ungeheuerlichkeiten des griechischen Staatsunvermögens zu arrangieren und in einem Kokon vermeintlicher So-ging-es-eh-immer-Sicherheit zu leben. Die Sicherheit ist weg. Der unfähige Staatsapparat ist noch da.

Wie immer die Verhandlungen zwischen Griechenland und der EU jetzt weitergehen: Athen muss wissen, dass es vergleichsweise ein Randproblem in Europa ist. In seiner Behandlung hat die Union Geduld gehabt, auch Fehler gemacht – aber die wahren Probleme Europas liegen woanders. Wie mit der Migration und dem Flüchtlingsansturm umgehen, wie Russland wieder vom Konfrontations-Baum herunter holen, das sind existenzielle Fragen für die Union. An Griechenland zerbricht sie nicht.