Die kunstvolle Pirouette des Calvin Coolidge
Von Jürgen Klatzer
Barack Obama steht ein historischer Staatsbesuch bevor. Noch im März soll der US-Präsident nach Kuba reisen, um die Annäherung zwischen den beiden Staaten weiter zu forcieren. Am Donnerstag verkündete das Weiße Haus die Visite offiziell. Obama und Ehefrau Michelle werden am 21. und 22. März auf der Karibikinsel weilen.
Der einzige amtierende US-Präsident, der bislang Kuba besuchte, war Calvin Coolidge. Das war vor fast genau 88 Jahren, im Januar 1928. Damals regierte Benito Mussolini Italien und in Frankreich stürmten Feministinnen den Präsidentenpalast in Paris, um gleiche Rechte für alle zu fordern - sie wurden von lokalen Beamten ins Gefängnis gebracht. Und in Kuba wuchs gerade die Widerstandsbewegung gegen Präsident Gerardo Machado.
"To Cuba with Cal"
Coolidge, US-Präsident von 1923 bis 1929, reiste in die kubanische Hauptstadt Havanna, um an der sechsten internationalen Konferenz der Amerikanischen Staaten (Pan-American-Conference) am 16. Jänner 1928 teilzunehmen. Es war die einzige Auslandsreise in seiner Amtszeit.
Eine Air-Force-One, der Flieger, mit dem heute US-Präsidenten verreisen, stand ihm damals noch nicht zur Verfügung. Coolidge fuhr mit dem Präsidentenzug ohne Klimaanlage bis an die Spitze Floridas nach Key West, von wo aus er mit dem U.S.S.-Texas-Battleship eine nächtliche Schiffsfahrt ins hundert Meilen entfernte Havanna unternahm.
"Die 32-Stunden-Tour nach Key West war langweilig", erinnerte sich der damalige Reporter der Saturday Evening Post, Beverly Smith Jr., in seinem Bericht "To Cuba With Cal", der erst 1958 erschienen ist. Es gab keine Pressekonferenz, keine Gespräche mit dem Präsidenten. Dementsprechend spielten die Journalisten hauptsächlich Karten und protokollierten penibel die "Mittagsschläfchen" von Coolidge.
Wird Coolidge Alkohol trinken?
Als das Boot die Küste von Kuba erreichte, schreibt Smith, sei der US-Präsident von der Bevölkerung enthusiastisch empfangen worden. "Mit heiseren Stimmen riefen die Kubaner 'Presidente Coolidge', umkreisten das Auto, warfen Luftküsse und ließen Blumen regnen. Cal war von dieser lateinamerikanischen Wärme berührt und zeigte mehr Lebhaftigkeit als gewöhnlich. Er verbeugte sich, lächelte und hob ab und zu seinen Seidenhut."
Am ländlichen Anwesen von Machado beobachtete Smith mit seinen Redakteurskollegen, ob Coolidge Alkohol trinken würde. In den USA herrschte damals die Prohibition, und die Theorie der Reporter war die folgende: Würde sich Coolidge zu einem Drink hinreißen lassen, würde er tatsächlich und wie angekündigt nicht für eine weitere Amtszeit kandidieren - weil ihm Bilder eines trinkenden Präsidenten auf den Titelblättern egal wären.
Ein Präsident und seine Pirouette
Smith schreibt weiter: Mit einem großen Tablett voller "Kristallcocktailgläser, die jeweils bis zum Rand mit Daiquiri-Rum, frischem Limettensaft und Zucker - gut geschüttelt - gefüllt waren", bahnte sich ein Kellner seinen Weg durch die illustre Gesellschaft.
"Cal selbst war natürlich der Anziehungspunkt der gesamten Dramatik", schreibt Smith. "Der Kellner kam von links, doch Cal drehte sich kunstvoll nach rechts, um offensichlich ein Gemälde an der Wand zu bewundern. Als der Kellner dem Präsidenten nun von rechts ein Glas anbieten wollte, drehte sich Cal weitere 90 Grad, um Machado auf die Schönheit der kubanischen Vegetation hinzuweisen."
Als der US-Präsident seine Pirouette beendet hatte, war der Kellner mit dem "belastenden Tablett" verschwunden. Coolidges geschickte Bewegung sei ein Meisterstück eines Ausweichmanövers gewesen, stellte Smith faszinierend fest. Einen weiteren Wahlkampf hängte Coolidge dennoch nicht an.
"Today Cuba is her own sovereign. Her people are independent, free, prosperous, peaceful, and enjoying the advantages of self-government." (Coolidge 1928)
Später in seiner Rede sagte Coolidge, dass Kuba dreißig Jahren vor seinem Besuch am Boden zerstört gewesen sei, von der Revolution zerrissen und von Fremden gesteuert. Die "Fremden" waren die US-Amerikaner selbst, die damals alle wichtigen Entscheidungen für Havanna getroffen hatten. Doch dass die Regierung des Inselstaates auf militärischer Gewalt basierte, sei Geschichte. Heute, setzte Coolidge fort, ist "Kuba selbstständig, die Leute sind unabhängig, frei und wohlhabend. Man genießt die Vorteile der Selbstverwaltung".
Alles davon war falsch. Damals wusste der US-Präsident nicht, dass Gerardo Machado schrittweise die politischen Institutionen entmachtete und eine auf das Militär gestützte autoritäre Alleinregierung etablierte. Der Historiker Jules R. Benjamin beschrieb den Aufstieg des kubanischen Diktators und die damit einhergehenden Nationalismen als "Machadato". Doch der Widerstand in der Bevölkerung gegen das Regime war so enorm, dass Machado im August 1933 das Land fluchtartig verlassen musste.
Das erlebte Coolidge nicht mehr. Er verstarb am 5. Jänner 1933 unerwartet an einem Herzinfarkt. Er wurde 60 Jahre alt.