Politik/Ausland

NSU-Prozess bis Mitte Mai unterbrochen

Ohne Handschellen, mit eng vor der Brust verschränkten Armen, flankiert von einer Schar Polizisten betritt Beate Zschäpe Montagfrüh den Gerichtssaal in München. Die 38-jährige Rechtsextremistin macht kurz einen Blick in den Saal, wo schon Angehörige der Opfer – 77 treten auch als Nebenankläger auf – Anwälte und Beobachter warten. Sie dreht sich um und kehrt ihnen bis zum Prozessbeginn den Rücken zu.

Als Nebenangeklagte müssen sich vier Männer verantworten, etwa für die Organisation der Waffen. Doch es ist Zschäpe, die sich dem Leid, der Wut und den Fragen der Angehörigen stellen wird müssen – nicht heute, aber im Laufe des Verfahrens, das bis zu zweieinhalb Jahre dauern könnte. Antworten auf die quälenden Fragen der Hinterbliebenen wird Zschäpe wohl keine geben. Sie werde schweigen, so ihre Anwälte.

Der erste Prozesstag beginnt unter enormen Medieninteresse. Viele Reporter, die bei der pannenhaften Platzvergabe leer ausgegangen waren, stellten sich schon in der Nacht für einen der raren Plätze im Saal an. Zwei Türkinnen wollen ins Gebäude stürmen. Polizisten stoppen die wütenden Frauen.

Alle Inhalte anzeigen
Im Saal wird der Prozess bereits nach wenigen Minuten unterbrochen: Zschäpes Anwälte protestieren, weil sie auf Waffen untersucht wurden, und stellen einen Befangenheitsantrag gegen Richter Manfred Götzl. Das Oberlandesgericht München beschließt, später zu entscheiden. Auch danach geht es nur schleppend weiter. Schließlich wird der Prozess bis 14. Mai unterbrochen.

Schwarze Luftballons

Alle Inhalte anzeigen
Vor dem Gericht steigen Hunderte schwarze Luftballons auf. Gruppen, auch aus der Türkei,trauern und demonstrieren gegen Rassismus, gegen das Versagen der Ermittler. Kanzlerin Merkel verspricht, dass die politische Aufarbeitung der Morde weitergehen wird. Es müssten entsprechende Schlussfolgerungen gezogen werden, „damit sich das nie wiederholen kann“. Dafür werde sie weiter arbeiten, betont sie.

Zehn Morde, davon neun an türkisch- und griechischstämmigen Menschen, zwei Bombenanschläge sowie Banküberfälle werden der Ostdeutschen Zschäpe angelastet. Sie gibt sich vor Gericht im schwarzen Hosenanzug mit weißer Bluse betont ruhig, friedlich, harmlos. Ihr droht lebenslange Haft, ihre Komplizen der rechtsradikalen Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die alle Morde ausgeführt haben sollen, töteten sich im November 2011 vor ihrer Ergreifung.

Zuvor gab es unzählige Fehler und Pannen der Ermittler, denen Kritiker vorwerfen, auf dem rechten Auge blind zu sein. Nur durch Zufall kam man der NSU auf die Spur. Ihre Opfer sind, abgesehen von einer deutschen Polizistin und einem Schichtarbeiter, Kleinunternehmer. Die Angehörigen mussten nicht nur den Tod ihrer Männer, Väter, Brüder verkraften, sondern auch erleben, dass die Polizei gegen die Getöteten ermittelte; ihnen Mafia-Verbindungen oder Drogenhandel unterstellte. Der Boulevard schrieb von „Döner-Morden“. Die Angehörigen zürnten: „Sie sind keine Döner, sie sind Menschen und haben Namen.“

Enver Şimşek (38): Der Blumenhändler ist 2000 in Nürnberg das erste NSU-Opfer.

Alle Inhalte anzeigen
„Er hatte schwarze Haare, dunkle Augen. Nur weil man ihm ansehen konnte, dass er kein Deutscher war, wurde er erschossen“, sagt seine Tochter Semiya Şimşek. Die 27-jährige Schwangere ist beim Prozessauftakt dabei.

Abdurrahim Özüdoğru (49):Der Siemens-Schichtarbeiter stirbt 2001 in Nürnberg durch drei Kopfschüsse .

Süleyman Taşköprü (31): Der Obsthändler, Vater einer Dreijährigen, stirbt in Hamburg im Geschäft des Vaters.

Habil Kılıç (38):Er wird 2001 in München in seinem Obstgeschäft erschossen.

Mehmet Turgut (25): In Rostock wird er 2004 bei einem Döner-Stand getötet.

İsmail Yaşar (50): Fünf Schüsse strecken ihn 2005 in Nürnberg in seinem Döner-Kebap-Imbiss nieder.

Theodoros Boulgarides (41):In seinem Schlüsseldienst in München wird der zweifache Vater 2005 erschossen.

Mehmet Kubaşık (39): Der dreifache Familienvater wird 2006 in seinem Kiosk in Dortmund ermordet.

Halit Yozgat (21): Er wird 2006 in Kassel in seinem Internetcafé erschossen.

Alle Inhalte anzeigen