Politik/Ausland

Zieht Tschetschenen-Führer Kadyrow eine Blutspur durch Europa?

Die Mörder kommen mit Hämmern, mit Messern, mit Autobomben. Im Falle von Martin B. war es ein Kopfschuss, der ihn das Leben gekostet hat. Ihre Opfer sind immer die gleichen: Kritiker, ehemalige Weggefährten, Journalisten – jedenfalls Menschen, die Ramsan Kadyrow, dem tschetschenischen Präsidenten, nicht zu Gesicht stehen.

Zieht Kadyrow, der seit 2007 die muslimisch geprägte russische Teilrepublik mit eiserner Hand führt, eine blutige Spur durch Europa? Martin B. (alias Ansor aus Wien oder Mamuchan Umarow) war jedenfalls das bereits elfte Opfer, das genau in dieses Schema passt: Vor dem Mord an ihm gab es im Westen bereits zehn Attentate auf Exil-Tschetschenen, die Kadyrow öffentlich kritisiert oder sich anderweitig bei ihm unbeliebt gemacht hatten. Erst im Februar überlebte der populäre Videoblogger Tumso Abdurachmanow in Schweden einen Anschlag, ein Unbekannter schlug mit einem Hammer auf ihn ein, als er schlief. Er sagt jetzt, dass jedem in der Diaspora klar gewesen sei, dass Martin B. in Gefahr sei.

 

Jahrzehntelanger Konflikt

Die Hintergründe dieser Blutspur reichen freilich weit in die Vergangenheit. Dass es überhaupt eine so große Diaspora an Tschetschenen gibt, liegt an den zwei Kriegen, die seit dem Ende der Sowjetunion dort geführt wurden; muslimische Separatisten kämpften jahrelang gegen Moskau, um sich loszulösen. Geschafft haben sie es nicht – wegen Kadyrow: Er, der zunächst noch selbst für eine Loslösung von Russland kämpfte, wandelte sich zum Statthalter Wladimir Putins – eine Symbiose, die ihre Tücken hat.

Denn Kadyrow hat für den russischen Präsidenten zwar das Pulverfass Tschetschenien beruhigt, darf dafür aber mit brutaler Gewalt herrschen – absurderweise mit der gleichen islamistischen Ideologie, mit der die Separatisten selbst gekämpft hatten. Die Scharia steht in der Kaukasusrepublik über allem, nur über Kadyrow selbst nicht; er gilt als autoritärer Alleinherrscher, der die Vielehe genauso verteidigt wie Ehrenmorde.

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Im Sinne des Kreml

Dass er mit Putin gemeinsame Sache macht, werfen ihm viele Exil-Tschetschenen vor. Viele von ihnen sind schließlich ehemalige Weggefährten aus Kampfzeiten, die in Ungnade gefallen sind; auch Geheimdienstler sind darunter.

Menschenrechtler werfen ihm gar vor, Morde im Auftrag des Kreml zu erledigen. Bei Putin-Kritiker Boris Nemzow, der 2015 einem Attentat zum Opfer fiel, und Tschetschenien-Berichterstatterin Anna Politkowskaja, die 2006 ermordet wurde, wurde über eine Beteiligung des Kreml spekuliert, Beweise dafür, dass Kadyrow den Job erledigt hat, fand man nie. Bei einem Mordfall in Berlin wurde der Vorwurf hingegen ganz offiziell erhoben: Dass der tschetschenische Georgier Selimchan Changoschwili auf offener Straße erschossen wurde, ist für die Behörden ein Auftragsmord des russischen Staates. Das steht auch so in der Anklage.

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„Falsche Vorwürfe“

Im Fall von Martin B. ist man von solchen politischen Anschuldigungen noch weit entfernt (siehe Artikel rechts). Vorwürfe kommen nur aus der Exil-Tschetschenen-Community, die Kadyrow einen Auftragsmord zur Last legen. Er selbst wies am Donnerstag jede Schuld von sich: Westliche Geheimdienste hätten die Morde verübt, um sie ihm in die Schuhe zu schieben, so Kadyrow, der die Mordopfer in seinem Statement als „Hunde“ bezeichnete.

Im Kreml gab man sich auf Nachfrage diplomatischer, allerdings inhaltlich gleichlautend. „Nur weil er Tschetschene war und Kadyrow kritisiert hat, soll Kadyrow es gewesen sein? Das ist unlogisch“, verteidigte Dmitrij Peskow, der Sprecher Wladimir Putins, den Tschetschenen-Präsidenten. Auch das überrascht wenig.