Politik/Ausland

Merkels Minister Spahn: Vom Kritikereck an den Kabinettstisch

Fantasielos, dröge, keine Visionen – Angela Merkels Regierungsstil gilt vielen als langweilig. Und jetzt das. Nach zwölf Jahren an der Macht ist sie scheinbar für Überraschungen gut: Bei der Präsentation ihrer neuen Ministerliste sticht vor allem ein Name hervor: Jens Spahn.

Die Kanzlerin holt also ihren lautesten Kritiker ins künftige Kabinett. Allerdings nicht so ganz freiwillig. Seit Wochen wird in der CDU öffentlich wie nie über eine personelle und inhaltliche Erneuerung diskutiert. Nach einem desaströsen Wahlergebnis und gescheiteren Regierungsverhandlungen mit FDP und Grünen, kann Merkel ihre Kritiker nicht mehr länger ignorieren. Die wünschen sich ein konservativeres und schärferes Profil für die CDU, etwa in puncto Migration. Einer, der diese Sehnsüchte verkörpert: Jens Spahn. Mal redet der 37-Jährige gegen Merkels Willen ein Verbot des Doppelpasses herbei, dann wirbt er für ein Burka-Verbot, warnt vor "Import-Imamen" oder sinniert über "kulturelle Sicherheit" als Streitfrage der Zukunft.

Taktische Gründe

Spahn ist inhaltlich wie stilistisch das Gegenteil der Kanzlerin: Laut, provokant und dauerpräsent in den Medien. Dennoch macht sie ihren Widersacher zum Mitstreiter – natürlich aus taktischen Gründen. Mit Spahns Berufung hofft sie, ihre Kritiker zu beruhigen. Auch mit Blick auf den heutigen Parteitag, wo die Delegierten den Koalitionsvertrag absegnen sollen. Ein schlechtes Ergebnis würde Merkels Autorität weiter schwächen und ein Medienecho auslösen.

Allerdings will sie es Spahn nicht einfach machen. Mit dem Gesundheitsministerium schiebt ihm die Kanzlerin ein zukunftsträchtiges, aber schwieriges Amt zu. Spahn, der lange gesundheitspolitischer Sprecher war, wird sich vor allem um die Versäumnisse im Pflegebereich annehmen müssen: Mehr Personal, bessere Bezahlung und Aufwertung des Berufs. Kein Posten, bei dem man Beliebtheitspunkte sammelt.

Kabinettsdisziplin

Spahn wird sich fachlich beweisen müssen – ebenso in Sachen Kabinettsdisziplin. Von der Seite ließ es sich bequem kritisieren. Nun ist er Teil des neuen Teams mit Peter Altmaier als Wirtschaftsminister. Verteidigungsministerin soll Ursula von der Leyen bleiben, Julia Klöckner Landwirtschaftsministerin werden. Anja Karliczek übernimmt das Bildungsressort und Helge Braun ist als Kanzleramtschef vorgesehen. In dieser Mannschaft wird Spahn heute auch den Koalitionsvertrag verteidigen müssen. Widerstand gibt es vor allem vom CDU-Wirtschaftsflügel, der den Verlust des Finanzministeriums an die SPD kaum ertragen kann. Darüber klagte zuletzt auch Spahn. Nun wird er sich in anderen Tönen üben müssen.

Jungspund – bei diesem Wort verzieht Jens Spahn gerne mal das Gesicht. Mit 37 Jahren gehört er zwar zu den Jüngsten in der CDU-Spitze, aber Polit-Novize ist er keiner. Seit fast 15 Jahren ist der gelernte Bankkaufmann, der in einem 3000-Einwohner Dorf im Münsterland aufwuchs, Abgeordneter. Seit 2014 ist Spahn im CDU-Präsidium, wo er per Kampfabstimmung den Merkel-Vertrauten Hermann Gröhe verdrängte. Zuletzt rief ihn Wolfgang Schäuble als Finanzstaatssekretär zu sich und bezeichnete ihn als „eine der großen Hoffnungen für die Zukunft der Union“.

Gute Beziehung zu Sebastian Kurz

Dass der 1,91 Meter Mann mit der Schuhgröße 49 Großes vor hat, ließ er in Talkshows oder Interviews oft genug durchsickern, wenn er etwa Merkels Flüchtlingspolitik als Ursache für die Wahlniederlage ausmachte. Kräftig unterstützt wird er dabei von der Jungen Union. Deren Chef, Paul Ziemiak, forderte zuletzt via Bild-Zeitung Merkel auf, kritische Geister ins Kabinett zu holen.

Alle Inhalte anzeigen

Guten Kontakt pflegt Spahn auch zu Kanzler Sebastian Kurz, mit dem er am Wahlabend in Österreich für ein Selfie posierte – nach dem Motto: So gewinnt man Wahlen – was viele als Spitze gegen Merkel deuteten. Ebenso als er gleich nach Ende der Koalitionsverhandlungen am Wiener Opernball auftauchte und von dort ein Foto mit Kurz und dem irischen Premier Leo Varadkar twitterte. Man habe sich über Einwanderungspolitik und über die Ehe für alle unterhalten, schrieb er.

Ja zur Ehe für alle

Wenn es um die Rechte Homosexueller geht, hat Spahn deutlich liberale Ansichten. Er ist mit dem Journalisten Daniel Funke verheiratet und stimmte im Juli 2017 auch für die Ehe für alle.

- Sandra Lumetsberger, Berlin