Merkel: Nur die Ruhe
Angela Merkel hatte lange einen zweiten Vornamen: Alternativlos. Diese Zeiten sind seit dem Rennen um den CDU-Parteivorsitz vorbei, wo sich drei Kandidaten um ihre Nachfolge bemühten. Und seit sie für sich ein Abschiedsdatum gefunden hat: 2021 will sie nicht mehr antreten. Ein Datum, das stets infrage steht, wenn es um den Zustand der Großen Koalition oder ihre Gesundheit geht. So wie in den vergangenen Wochen.
Die 65-Jährige, seit 14 Jahren Kanzlerin, hat eine turbulente Zeit hinter sich: Da waren die Spekulationen um ihre Zitteranfälle, dann die Nominierung Ursula von der Leyens, die Merkel wohl eher passiert ist. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich dafür stark gemacht. Zuletzt überraschte die Kanzlerin das Land mit Annegret Kramp-Karrenbauers Wechsel ins Verteidigungsressort. All das bewegte auch das Regierungsbündnis: Es rumorte wieder zwischen Union und SPD. Erneut wurde dieser Tage viel spekuliert, ob die Regierung bis zum Ende der Wahlperiode hält oder früher platzt.
Sollte das Merkel ebenfalls umtreiben, so lässt sie sich bei ihrer gestrigen Sommerpressekonferenz nichts anmerken. Etwas vor der Zeit spaziert sie im knallroten Blazer in die Bundespressekonferenz. Die Fotografen sind seit mehr als 30 Minuten postiert, die Reihen mit Journalisten besetzt. Die Luft steht. Merkel wirkt ungerührt. In sachlich-nüchternen Sprech nennt sie die vergangenen Tage schlicht „ereignisreich“.
Ihre Signale
Das Signal, das Merkel an diesem Tag aussenden will, ist recht deutlich: Ihre Koalition ist noch nicht am Ende. „Wir haben gezeigt, dass wir handlungsfähig sind, obwohl wir viele Meinungsverschiedenheiten überbrücken müssen.“ Dann zählt sie auf, was so alles auf der Agends steht: Klimaplan, Soli-Abbau, Grundrente und da wären ja noch die vielen anderen Herausforderungen. Es werde ein arbeitsreicher Herbst, verspricht Merkel.
Für Auftritte wie diesen pflegt sie eine Strategie: Auffallend gelassen wirken, als wäre nichts gewesen. Ausführlich antworten, aber umständlich formulieren. Konkret wird sie, als es um ihren Gesundheitszustand geht. „Sie kennen mich“, sagt sie gefragt nach ihrem Befinden – so lautete auch 2013 ihr Wahlkampfslogan: Merkel, die Berechenbarkeit in Person. Er soll auch jetzt beruhigend wirken nach den Spekulationen um ihre Person. Sie verstehe zwar die Fragen, denn als Kanzlerin müsse man handlungsfähig sein. Aber: „Ich kann diese Funktion ausüben.“ Als Mensch habe sie auch „ein hohes Interesse an meiner Gesundheit“. Sie hoffe, dass es nach ihrer Amtszeit „ein weiteres Leben gibt und das würde ich auch gerne gesund weiterführen“. Erneut betonte sie, dass sie 2021 nicht mehr antreten wird. Es ist das Datum ihres selbstgewählten Ausscheidens, sollte wie geplant verlaufen.
Aber was lässt sich in Zeiten wie diesen schon planen. Zumal CDU und SPD am 1. September Wahlen in Sachsen und Brandenburg bestreiten, wo ihnen Verluste drohen. Im Herbst wollen beide Partner eine Halbzeitbilanz ziehen. Diese böte sich wiederum als Ausstiegsszenario an, das man Wählern nachvollziehbar erklären kann. Ob sie es mit Blick auf die Umfragen wagen, ist fraglich. Die SPD wird erst vor Jahresende eine Parteispitze wählen, die CDU-Chefin und Kanzleranwärterin schwächelt. Es ist die Angst vor einem weiteren Absturz, die das Bündnis zusammenhält, sagte ein früherer hochrangiger sozialdemokratischer Politiker.
Ein entscheidendes Wort wird Kramp-Karrenbauer haben. Dass sie entgegen früherer Aussagen ins Kabinett aufrückt, überraschte in dieser Woche Journalisten wie Parteikollegen. „Blickwinkel für Entscheidungen“ können sich immer ändern, sagte Merkel dazu. War es eine spontane Entscheidung, oder musste sie die Saarländerin anstupsen, nach dem Amt zu greifen, um sich als Kanzlerkandidatin zu beweisen? Der Spiegel will wissen, dass die beiden Frauen zwei Wochen lang verhandelten.
Ihre Nachfolge
Kramp-Karrenbauer steht jedenfalls vor einer schweren Aufgabe: Sie wollte eine Vollzeit-CDU-Chefin sein, um die Partei zu modernisieren, ihr Profil zu schärfen. Und jene einzuhegen, die sich von Merkel vernachlässigt fühlen, etwa der Wirtschaftsflügel. Nun hat sie mit dem Ministerium einen Verwaltungsapparat, der finanziell und materiell nicht gut läuft.
Zur Frage der Nachfolge stellte sich auch jene vom politischen Erbe der Ära Merkel: In Deutschland warten Baustellen von Infrastruktur, Digitalisierung bis Klimaschutz. Außenpolitisch gibt es genug globale Krisen. Merkel pflegte es, auf Sicht zu fahren, pragmatisch zu sein, und hatte den Respekt von Putin bis Erdoğan. Sollte durch einen Koalitionsbruch ein Neuwahlszenario eintreten, bleibt nicht viel Zeit, sich einzuarbeiten.
Gefragt, ob die neue Verteidigungsministerin durch ihr Amt nun prädestiniert sei, ihr nachzufolgen, blieb sie vage: „Es ist sicherlich eines der wichtigen und schwierigen Ressorts in der Bundesregierung“, sagt Merkel. Auf die Entscheidung der Kanzlerkandidatur nehme sie aber keinen Einfluss. Das müssen die Unionsparteien in Zukunft bestimmen. Ob sie denn die ganzen Abschiedsporträts über sich lese, will noch eine Journalistin von ihr wissen. Merkel knapp: „Na, ich habe keine Zeit, die zu betrachten."