Politik/Ausland

Wie Angela Merkel die Welt sieht

„Frau zu sein, das spürte ich, war definitiv kein Vorteil. “

Es ist nur ein Satz aus Merkels Memoiren, aber er steht stellvertretend für das ganze Buch: Deutschlands Altkanzlerin hat ihre Erinnerungen aufgeschrieben, ein Vorabdruck davon erschien jetzt in der Zeit. „Freiheit“ hat sie das 700-Seiten-Werk genannt; darin gibt die 70-Jährige nicht nur Einblicke in die Mechanismen der großen Politik, sondern beschreibt vor allem, wie es sich anfühlt, die mächtigste Frau der Welt zu sein – unter vielen Männern.

„Was ist denn hier los?“

Der obige Satz war auf einen ihrer ersten Widersacher gemünzt, Gerhard Schröder. 2005, am Tag der Bundestagswahl, hatte der sich vor die TV-Kameras gestellt und mit breiter Brust verkündet, dass er gewonnen habe. „Ich meine, wir müssen die Kirche doch mal im Dorf lassen“, sagte er damals herablassend zu ihr. „Ich bin der Einzige, der eine Regierung bilden kann.“ Sie schreibt jetzt dazu: „Ich dachte: Wahnsinn! Was ist denn hier los?“

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Die Szene sollte in die Geschichte eingehen, Merkels 16 Jahre auch. Sie beschreibt, wie aus „Kohls Mädchen“ jene Frau wurde, der zugetraut wurde, die Polit-Machos und Autokraten dieser Welt in Schach zu halten. Immer wieder lässt sie einen an damaligen Gedanken teilhaben; bei Schröder etwa habe sie sich gefühlt, „als wäre ich gar nicht Teil des Ganzen, sondern als schaute ich mir zu Hause vor dem Fernseher die Szene an.“

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Über Putin schreibt sie in ganz nüchternem Ton, er sei „jederzeit bereit gewesen, auszuteilen, Machtspiele mit Hund und Andere-auf-sich-warten-Lassen inklusive“. Das ist eine Erinnerung an ihren Besuch in Sotschi 2007, als Putin einen Hund ins Zimmer mitnahm – wissend, dass sie sich vor Hunden fürchtet. Ähnlich ihre Beschreibung Trumps, dem sie mit milder Häme attestiert, „alles aus der Perspektive des Immobilienunternehmers“ zu beurteilen. Er wollte ihr bei ihrer ersten Begegnung im Weißen Haus nicht die Hand geben, obwohl sie danach gefragt hatte – vor laufender Kamera. „Er wollte durch sein Verhalten Gesprächsstoff kreieren, während ich so getan hatte, als hätte ich es mit einem sich normal verhaltenden Gesprächspartner zu tun“, beschreibt Merkel ihren Ärger über sich selbst.

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Termin mit Obama

Mehr Selbstkritik als das liest man aus den Vorabdrucken nicht heraus, auch die großen Enthüllungen fehlen. Vielleicht hat Merkel sich das noch aufgespart: Erscheinen wird das Buch, das sie gemeinsam mit ihrer langjährigen Vertrauten und Bürochefin Beate Baumann verfasst hat, erst am 26. November, da präsentiert sie es in Berlin. Am 2. Dezember stellt sie das Buch nach Terminen in Paris, Barcelona, Mailand und Amsterdam in Washington vor – mit Barack Obama. Mit ihm, so viel ist sicher, verbindet sie deutlich mehr als mit anderen großen Männern der Politik.