Mehr als 47.000 Armenier seit der Vorwoche aus Berg-Karabach geflohen
Seit der Militäroffensive Aserbaidschans in der Vorwoche sind nach neusten Angaben der russischen Agentur RIA Novosti 47.000 ethnische Armenier - und damit mehr als ein Drittel der Einwohner - aus der Region Berg-Karabach geflohen. Aserbaidschan hatte am Sonntag nach Monaten die einzige Straße aus Berg-Karabach nach Armenien geöffnet. Aserbaidschan hat nach eigenen Angaben im Zuge der jüngsten Militäroffensive gegen die Separatisten Berg-Karabachs 192 Soldaten verloren.
Die meisten vertriebenen Karabach-Armenier trafen in der armenischen Stadt Goris ein, der ersten Anlaufstelle hinter der Grenze. In der 20.000-Einwohnerstadt bildeten sich lange Schlagen vor Geschäften mit Telefonkarten. Unter den Flüchtlingen befanden sich vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen.
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Russland als traditionelle Schutzmacht Armeniens
In Berg-Karabach, das international als Teil Aserbaidschans anerkannt wird, lebten bisher knapp 120.000 ethnische Armenier, sie stellten klar die Bevölkerungsmehrheit. Seit Jahrzehnten war die Region zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien umstritten. Nach einem Krieg Anfang der 90er Jahre hatten die Armenier die Kontrolle. Nach einem weiteren Krieg 2020 hatte Aserbaidschan Teile Berg-Karabachs und besetzte aserbaidschanische Gebiete zurückerobert. Jerewan wirft Baku vor, nun eine "ethnische Säuberung" zu planen, nachdem Aserbaidschan dort vergangene Woche eine großangelegte Militäroffensive gestartet hatte.
Nach der Militäroffensive Aserbaidschans am 19. September mussten die pro-armenischen Kämpfer von Berg-Karabach bereits einen Tag später eine Waffenstillstandsvereinbarung akzeptieren. Russland als traditionelle Schutzmacht Armeniens hatte die Aserbaidschaner bei ihrer Militäroffensive gewähren lassen. Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan machte Moskau deshalb bittere Vorwürfe. Russland warf Jerewan wiederum vor, mit seiner jüngsten Hinwendung zum Westen einen "großen Fehler" zu begehen.
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Am Dienstag kamen Vertreter Armeniens und Aserbaidschans auf Initiative der EU in Brüssel zusammen. Die Gespräche zwischen den nationalen Sicherheitsberatern der verfeindeten Länder im Beisein von Vertretern der EU-Schwergewichte Frankreich und Deutschland standen unter der Schirmherrschaft von EU-Ratspräsident Charles Michel.
Antony Blinken rief Ilham Aliyev an
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock forderte am Mittwoch Aserbaidschan auf, internationale Beobachter in die Region Berg-Karabach zu lassen. "Es wäre ein Vertrauensbeweis, dass es Aserbaidschan mit seinen Zusagen für die Sicherheit und das Wohl der Menschen in Berg-Karabach ernst meint, wenn es internationale Beobachter zuließe", sagte Baerbock", so Baerbock laut einer Mitteilung. US-Außenminister Antony Blinken hatte den autokratischen Präsidenten Aserbaidschans, Ilham Aliyev, in einem Telefonat am Dienstag ebenfalls dazu aufgefordert, eine internationale Beobachtermission zuzulassen. Ein Sprecher des Außenministeriums sagte im Anschluss, dass Aliyev eine Mission akzeptieren würde. Die USA erwarteten, dass er sich daran sowie an die Zusage halte, keine weiteren militärischen Maßnahmen zu ergreifen. Blinken appellierte den Angaben nach an Aliyev, humanitärer Hilfe ungehindert Zugang zu gewähren, die Sicherheit der Karabach-Bewohner zu gewährleisten und ihre Rechte zu schützen.
Bei der Militäroffensive Aserbaidschans wurden nach Angaben aus Baku vom Mittwoch 192 aserbaidschanische Soldaten und ein Zivilist getötet. Mehr als 500 weitere aserbaidschanische Soldaten seien zudem verletzt worden, erklärte das Gesundheitsministerium. Die pro-armenische Seite hatte 213 Tote der Kämpfe vermeldet. Somit wurden bei der Militäroffensive insgesamt mehr als 400 Menschen getötet.