Mazedonische Musketierinnen
"Ikonen"
Tausende Menschen gingen zu ihrer Unterstützung in den vergangenen Monaten auf die Straßen. "Die drei Frauen werden von der Bevölkerung bei uns als Ikonen der Verbrechensbekämpfung gefeiert", schildert Sinisa Jakov-Marusic dem KURIER. "Wir waren die Ersten hier, die öffentlich über Korruption gesprochen haben", bestätigt Sonderstaatsanwältin Lence Ristoska, "das war für alle eine riesige Überraschung, denn bisher dachte jeder, dass das nicht möglich sei." Seit zehn Jahren halten Ex-Premier Gruevski und seine nationalistische VMRO-Partei das kleine Balkanland fest im autoritären Griff. Ob in Wirtschaft, Administration, Medien – keine Entscheidung fällt gegen ihren Willen.
Vom restlichen Europa nahezu vergessen, katapultierte sich der nördliche Nachbar Griechenlands erst mit dem Durchmarsch der Flüchtlinge wieder in die Erinnerung zurück. Seit im März die Balkanroute geschlossen wurde, gilt Mazedonien als einer der Frontstaaten gegen die Asylsuchenden.
540.646 Tonbänder
Im Inneren aber wankt Mazedonien schon seit zwei Jahren von einer Krise zur nächsten. Der Auslöser: 540.646 Telefonmitschnitte tauchten auf. Illegal abgehörte Gespräche des Geheimdienstes, der praktisch jeden wichtigeren Menschen belauert hatte. Für die alles im Land beherrschende VMRO-Regierung besonders peinlich: Da flog auf, wie geschachert , Schutzgelder erpresst und Lizenzen illegal vergeben wurden, Tatbestände verschleiert, bei Wahlen gemogelt, Freunde begünstigt, Macht missbraucht und Konkurrenten bedroht wurden. In einem Mitschnitt ist zu hören, wie der damalige Premier Gruevski mit seinen Adepten berät, wie ein soeben für ihn erworbener Mercedes im Wert von 575.000 Euro vor der Öffentlichkeit versteckt werden kann. Ein ganzes, institutionalisiertes System der Korruption war plötzlich offengelegt.
Nie dagewesene Proteste folgten. Nach wochenlangen Unruhen vermittelte die EU einen Kompromiss: Rücktritt des Premiers, Durchführung von Neuwahlen und die Errichtung einer Sonderstaatsanwaltschaft, die den in den Tonbändern besprochenen Verbrechen auf den Grund gehen soll. "Als die drei Ermittlerinnen ernannt wurden, waren sie relativ unbekannt", schildert Jakov-Marusic, "einige Politiker haben sich damals sicher gedacht: Die schaffen das eh nicht."
Doch Katica Janeva, Fatime Fetai und Lence Ristoska legten sofort los. "Ich fühle mich frei und stark, weil ich die Verfassung und die Gesetze auf meiner Seite habe. Ich werde nicht schweigen", sagte Chefermittlerin Janeva bei der Präsentation des ersten Falles mit dem bezeichnenden Codenamen "Titanic".
Vorgeladen
Sieben Fälle sind mittlerweile eröffnet – und selbst der starke Mann Mazedoniens, Ex-Premier Gruevski, musste bereits vor Gericht erscheinen. Eine unerhörte Demütigung für den früheren Regierungschef, der sich bisher für unantastbar hielt. Als "Marionetten der Opposition" beschimpft er seither das weibliche Ermittler-Trio. Die von der Staatsmacht eng am Zügel gehaltenen Medien schießen noch schärfer. Da werden die drei Frauen als "professionell unfähig" beschimpft und ihnen sexuelle Beziehungen zu diversen Oppositionellen angedichtet.
Doch in Mazedoniens Bevölkerung hat die unerschrockene Hartnäckigkeit der drei Sonderstaatsanwältinnen Begeisterungsstürme ausgelöst. Große Hoffnungen ruhen auf ihnen – dass eines Tages nämlich auch Politiker für ihre kriminelle Taten büßen müssen.