Politik/Ausland

EU-Selfie: "Gesicht der Langweile"

Wie ein Star bewegte sich Matteo Renzi – begleitet von seiner Vertrauten, Außenminiterin Federica Mogherini, – zum Rednerpult. Dutzende Fernseh-Kameras umzingeln die beiden.

Der italienische Ministerpräsident sprach am Mittwoch im Europäischen Parlament. Eigentlich wollte er das EU-Vorsitzprogramm seines Landes vorstellen, aber dann wurde daraus eine flammende Rede über Europas Zukunft. Engagiert und mit geballten Fäusten plädierte er für ein "starkes Comeback" Europas in der Welt. Begleitet war seine Forderung aber auch von viel Selbstkritik und vielen Fragen an diese Europäischen Union. "Wenn heute Europa ein Selfie machte, welches Gesicht würde es zum Ausdruck bringen?" – "Es würde ein Gesicht zeigen, dass sehr müde geworden ist, das schon aufgegeben hat." Europa biete "ein Gesicht der Langweile", wiederholte der Sozialdemokrat.

Doch Resignation ist Renzis Sache nicht. Um die Finanzkrise endgültig zu bannen, verlangte er erneut, "eine größere Flexibilität" bei der Interpretation des Euro-Stabilitätspaktes. "Das dient ganz Europa und nicht nur Italien." Er wollte damit vom Verdacht ablenken, mit der Forderung nach Ende des rigiden Sparkurses wolle er nur etwas für das gigantisch verschuldete Italien tun. Nein, Renzi will tiefgreifende Reformen aller Länder. "Diese Aufgabe kann Europa nicht erledigen, das muss jeder für sich selbst tun, auch Italien."

Nach dem Streit mit Großbritannien, den David Cameron mit seiner Ablehnung von Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident initiierte, sandte Renzi versöhnliche Töne Richtung London aus. "Eine EU ohne das Vereinigte Königreich wäre weniger Europa."

Humanitäres Europa

Der Premier mag erst 39 Jahre alt sein, aber ihm schwebt mehr als anderen EU-Politikern eine Union vor, die mehr ist als ein Wirtschaftsverbund kalter Finanztechniker und Bürokraten. Er will ein sozialeres und menschlicheres Europa.

Zum wiederholten Mal wies der italienische Regierungschef darauf hin, dass die EU eine "gemeinsame Flüchtlingspolitik, einen Lastenausgleich und mehr Solidarität braucht". – In diesem Augenblick Mittwochnachmittag kam die Meldung, dass 75 Migranten nach einem Schiffsunglück vor Sizilien vermisst werden.