Putins militärisches Muskelspiel
Von Elke Windisch
Über der Norwegen-See am Rande des arktischen Ozeans tauchten am Donnerstag auf NATO-Radar plötzlich acht russische Kampfjets im Formationsflug auf. Weitere wurden über dem Baltikum und dem Schwarzen Meer geortet. Darunter auch Langstreckenbomber, die mit Kernsprengköpfen bestückt werden können.
Auch verweigerten die russischen Maschinen den Funkkontakt. Norwegen, Portugal, Großbritannien und die Türkei schickten Abfangjäger hinterher.
Zusätzlich sichtete Lettland ein Schiff der russischen Marine nahe der Seegrenze.
Außenamt und Verteidigungsministerium in Moskau verloren dazu bisher keine Silbe – nur der Test einer mit Atomsprengköpfen bestückbaren Interkontinentalrakete vom Typ Bulawa wurde vermeldet, die zielgenau auf der Halbinsel Kamtschatka im Osten Russlands eingeschlagen sei.
Unabhängige Militärexperten sind vorsichtig mit Interpretationen. Die Mehrheit glaubt, Russland habe testen wollen, wie schnell das westliche Bündnis auf eine drohende Verletzung seines Luftraums reagiert.
Öl- und Gasvorkommen
Hintergrund ist nicht nur die Ukraine-Krise. Weit wichtiger ist für den Kreml territorialer Zugewinn in der Arktis. Schon seit Jahren bemüht Moskau sich um Erweiterung seiner 200-Meilen-Wirtschaftszone im Nördlichen Eismeer, wo riesige Öl- und Gasvorkommen lagern. Russland hofft auf territorialen Zugewinn von rund einer Million Quadratkilometern und hat der UN-Seerechtskommission dieser Tage umfangreiches neues Material vorgelegt, um zu beweisen, dass zwei Unterseegebirge in Polnähe die direkte Fortsetzung der sibirischen Landmasse sind. Über den Antrag will die Weltorganisation im Frühjahr entscheiden.
Eine Niederlage, wie sie Experten angesichts der für Russland derzeit extrem ungünstigen internationalen Großwetterlage und der Gebietsansprüche anderer Pol-Anrainer nicht ausschließen, wäre auch für Kremlchef Wladimir Putin eine schwere persönliche Schlappe. Er könnte die Loyalität der Oligarchen verlieren, die er sich durch Schutz ihrer Geschäftsinteressen teuer erkauft hat.
Russland hat seine militärische Präsenz in der Region seit Herbst 2013 massiv verstärkt und Flugplätze wieder in Betrieb genommen, die nach dem Ende der Sowjetunion 1991 aufgegeben wurden. Darunter auch den auf der Eismeer-Insel Franz-Josef-Land. Von dort, raunen Kenner der Materie, seien auch die jetzt über der Norwegen-See gesichteten Langstreckenbomber aufgestiegen.
Eine Woche nach den Parlamentswahlen in der Ukraine sollen am Sonntag in den Rebellengebieten im Osten eigene Wahlen abgehalten werden – und abgehörte Telefonate belegen aus Sicht Kiews, dass diese maßgeblich von Moskau initiiert wurden.
Der Vizepremier der „Donezker Volksrepublik“ beklagt sich darin beim Moskauer Politberater (und Donezker Kurzzeit-Premier) Alexander Borodaj über das Kiewer Verfassungsgericht, das jenen Plan zerstören wolle, „den die Ihnen bekannten Genossen aus dem Zentrum vorbereitet haben“. Mit „Plan“ dürften die Wahlen, mit „Zentrum“ Moskau gemeint sein.
Präsident Petro Poroschenko hat unterdessen mit der früheren Ministerpräsidentin Julia Timoschenko über eine Beteiligung ihrer Vaterlandspartei an einer neuen, prowestlichen Koalition gesprochen. Sein Block und der von Premier Jazenjuk erreichten gut 44, die Vaterlandspartei 5,7 Prozent.