Politik/Ausland

Maghreb streitet um Frauenrechte

Eine 26-jährige, geistig beeinträchtigte Frau wird im Bus von sechs jungen Männern vergewaltigt und gefilmt, niemand schreitet ein. Das hat sich vor ein paar Wochen in der marokkanischen Stadt Casablanca zugetragen. Dass es überhaupt an die Öffentlichkeit gelangte, ist dem Zufall zu verdanken: Das Handy eines der Täter wurde gestohlen, dort wurden die Aufnahmen entdeckt und veröffentlicht. Seit Wochen herrscht Wut und Unverständnis unter vielen demonstrierenden Frauen in Marokko, denn per Gesetz können die Täter derzeit gar nicht bestraft werden.

"Gesetz geplant"

Die Vergewaltigung einer Frau ist in Marokko nur am Arbeitsplatz illegal, der Missbrauch Minderjähriger erst seit drei Jahren strafbar. Zwei von drei Frauen wurden bereits Opfer sexueller Gewalt. Die Regierung scheint sich langsam dem Druck zu beugen: Ministerpräsident Saadeddine Othmani versprach, "in naher Zukunft" ein entsprechendes Gesetz auszuarbeiten. "Es werden Maßnahmen getroffen, die Täter zu bestrafen und dafür zu sorgen, dass so etwas in Zukunft nicht mehr passiert", sagte er. Wann ein solches Gesetz Wirklichkeit wird, ist jedoch noch unklar.

Die islamistische "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung", die in der Regierung sitzt, steht in ihrem Vorhaben nicht geschlossen da. Einige Parteifunktionäre bedienen sich der altbekannten Argumentation, die Frauen seien selbst schuld an den Vergewaltigungen, da sie sich zu aufreizend anziehen würden. 60 Prozent der Männer und 48 Prozent der Frauen in Marokko sind nach wie vor der Meinung, dass vergewaltigte Frauen ihren Vergewaltiger heiraten sollten.

Regionales Problem

Diese Sicht ist in den Maghreb-Staaten, aber auch im Mittleren Osten weit verbreitet – erst in jüngerer Vergangenheit änderten einige Staaten ihre Gesetze zum Schutz von Frauen. In Ägypten war etwa ein kritischer Film nötig, der das Leid von vergewaltigten Frauen thematisierte, um ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden. Eine der Protagonistinnen wird ebenfalls in einem Bus vergewaltigt. Zwar geschehen öffentliche Vergewaltigungen nach wie vor häufig, aber die Täter werden jetzt bestraft.

Tunesien erließ im Juni ein Gesetz gegen Gewalt an Frauen, das Anfang 2018 in Kraft treten soll. Seit ein paar Wochen ist es Muslimas im Land erlaubt, Nichtmuslime zu heiraten. Auch Jordanien unternahm einen ähnlichen Schritt. Bis zum neuen Gesetz ging ein Vergewaltiger straffrei aus, wenn er sein Opfer heiratete – nach fünf Jahren durfte er sich aber wieder von ihr scheiden lassen.

Der verstärkte Schutz von Frauen gegen sexuelle Gewalt löst aber aufseiten einflussreicher islamistischer Parteien Widerstand aus: Als Algerien vor zwei Jahren ein Gesetz gegen häusliche Gewalt an Frauen erließ, protestierte ein islamistischer Abgeordneter mit den Worten: "Dieses Gesetz verstößt gegen die Prinzipien des Korans und zielt darauf, die Familie zu zerstören". Zu diesem Zeitpunkt starben jährlich 100 bis 200 Frauen infolge häuslicher Gewalt in dem muslimisch geprägten Land.

Gegner des neuen Kurses beklagen, dass Schritte zur Gleichbehandlung der Frauen gegen den Koran verstoßen. So sagte ein algerischer Abgeordneter, das Verbot häuslicher Gewalt sei eine "Rache am Mann im Allgemeinen".