Politik/Ausland

Machtkampf im Europa-Parlament

Im riesigen Glaspalast des Europäischen Parlaments im französischen Straßburg geht es bei dieser Präsidenten-Wahl gar nicht fein zu: Bis zu den Wahlgängen heute, Dienstag, streiten die Fraktionen über ihre Spitzenkandidaten, die künftige Ausrichtung und die Kooperation mit den beiden EU-Institutionen Rat und Kommission.

Die informelle Große Koalition zwischen Europäischer Volkspartei und Sozialdemokraten wurde beendet, nachdem Parlamentspräsident Martin Schulz seinen Abgang Ende November verkündet hatte. Wochenlang wurde daraufhin um Stimmen gebuhlt, wissend, dass es schwer sein wird, in die Fußstapfen von Schulz zu treten. Der SPD-Mann hat das Parlament stark und zu einem politischen Player gemacht.

Breite Palette

Sieben Kandidaten von ganz links bis ganz rechts treten heute zur Wahl an. Die besten Chancen werden Antonio Tajani von der Europäischen Volkspartei und Gianni Pittella von den Sozialdemokraten zugeschrieben. Ins Spiel bringt sich auch Liberalen-Chef Guy Verhofstadt. Der belgische Ex-Premier musste zuletzt aber viel Kritik einstecken, weil er 17 Abgeordnete der populistischen und EU-feindlichen italienischen Fünf-Sterne-Bewegung aufnehmen wollte. Die Fraktionsmitglieder verhinderten diesen, wie sie sagten, "schmutzigen Deal".

Bis zu vier Wahlgänge kann es heute geben, bis der neue Präsident für die nächsten zweieinhalb Jahre feststeht. Selbst "alte Hasen" im Parlament wagen keine Prognose. "In dieser verrückten Welt ist alles möglich", sagte ein französischer Abgeordneter, der dem Schulz-System, der Zusammenarbeit der politischen Mitte, nachtrauert.

Dem italienischen Adeligen Antonio Tajani wird vorgehalten, als Forza-Italia-Mandatar ein zu enges Verhältnis zu Ex-Premier Silvio Berlusconi zu haben und als EU-Industrie-Kommissar nicht gegen Manipulationen von Autokonzernen bei Abgastests eingeschritten zu sein. Die Grünen wollen ihn auf keinen Fall wählen. Dafür hofft Tajani auf rechte Stimmen – bis hin zum Front National von Marine Le Pen.

Der Arzt Gianni Pittella stand als Fraktionschef stets im Schatten des charismatischen Martin Schulz. Laut Pittella hat die Große Koalition nur Populisten gestärkt, deswegen sei er dagegen. Er wirbt bei Linken und Kommunisten um Unterstützung.

Karas will mitspielen

Dem ÖVP-Mann Othmar Karas platzte kurz vor dem Urnengang der Kragen: Diese Lagerbildung behage ihm überhaupt nicht. "Es braucht eine gemeinsame Persönlichkeit als Speaker of the House", sagte er – und brachte sich damit als Jolly Joker selbst ins Rennen. Last-Minute-Kandidaten können heute noch nominiert werden.

Das Chaos um die Bestellung des neuen Präsidenten lässt nichts Gutes ahnen. "Die Umstände der Wahl könnten der politischen Praxis des Parlaments vorgreifen", lautet die Befürchtung.

Am Mittwoch werden nach einem bestimmten parteipolitischen Punktesystem 14 Vizepräsidenten gewählt. Die österreichische Grün-Abgeordnete Ulrike Lunacek könnte erneut zum Zug kommen und in das Spitzen-Gremium einziehen.