Politik/Ausland

Kairo greift in den libyschen Bürgerkrieg ein

Im Morgengrauen fielen die Bomben. Acht koordinierte Angriffe sollen ägyptische und libysche Kampfjets auf Einrichtungen des "Islamischen Staates" (IS) geflogen haben – in Libyen. Es ist das erste Mal, dass die ägyptische Armee in Libyen angreift. In einer Stellungnahme im ägyptischen Fernsehen kündigte ein libyscher Kommandant weitere Angriffe in den kommenden Tagen an. Die erste Angriffswelle konzentrierte sich auf die Küstenstädte Derna – eine IS-Hochburg –, Bin Jawad und Sirte. In einem Statement der ägyptischen Armee ist von einem Racheakt die Rede, zu dem man "die Verpflichtung" habe.

Am Sonntag hatte der IS ein Video veröffentlicht, in dem 21 koptische Christen – allesamt Ägypter – an einem Strand enthauptet werden. All das ganz im Stil des IS. Alle Geiseln trugen orangefarbene Anzüge. Entführt worden waren die Ägypter im vergangenen Dezember und Jänner in Sirte. Ermordet wurden sie anscheinend in der Provinz Tripolis – was einiges über den Handlungsspielraum aussagt, den der IS in Libyen mittlerweile hat.

Gescheiterter Staat

Libyen hat keine geeinte Armee und de facto keine handlungsfähige Regierung – oder besser gesagt gleich zwei. Die international anerkannte mit Sitz in der ostlibyschen Küstenstadt Tobruk reagierte denn auch positiv auf die Luftschläge Ägyptens. Ihre Konkurrenz in der Hauptstadt Tripolis verurteilt sie.

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In Tripolis regiert das alte Parlament. Nach den Wahlen im Juni kam es zu Kämpfen in der Hauptstadt Tripolis. Die neu gewählte Regierung setzte sich nicht durch, ihre Minister und Mandatare flohen nach Tobruk, wo sie von einem alten 1970er-Jahre-Hotel aus das regieren, was von Libyen übrig ist. Verbündete haben sie in den Zintan-Milizen im Westen des Landes und bei den Verbänden der Ethnie der Tebu im Süden Libyens sowie in den Resten der Armee.

In Tripolis regiert seit Juni eine konservative Regierung, an der auch islamistische Kampfverbänden aus Misrata oder aus dem ostlibyschen Bengasi sowie die Gruppe Ansar al-Sharia beteiligt sind. Letztere gilt als El-Kaida-Ableger und IS-Rekrutierungspool. In den vergangenen Monaten war der IS zunehmend zu einer sichtbaren Macht geworden, hatte Paraden abgehalten, Gebietsansprüche gestellt und Anschläge verübt.

Vor allem für Ägypten – an sich nicht in der Allianz gegen den IS vertreten – ist das gefährlich, führt die Militärregierung von Präsident al-Sisi doch bereits auf dem Sinai einen Krieg gegen Guerillagruppen, die dem IS ebenfalls Treue geschworen haben. Nach einem gemeinsamen Telefonat forderten al-Sisi und Frankreichs Präsident Hollande am Montag eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates zum Thema Libyen.

Die koptisch-orthodoxe Kirche verabschiedet ihre Kinder, 21 junge Männer, in die himmlische Ruhestätte.“ Mit diesen Worten reagierte die koptische Gemeinde in Österreich (5000 Mitglieder) auf ihrer Facebook-Seite auf die bestialische Ermordung ihrer ägyptischen Glaubensbrüder in Libyen durch Extremisten des „Islamischen Staates“.

Die jüngste Bluttat ist der vorläufige Höhepunkt einer langen Leidensgeschichte dieser Gruppe, die zu den ältesten christlichen Kirchen zählt und vom Evangelisten Markus im ersten Jahrhundert gegründet worden sein soll. Schon in der Frühzeit war sie härtester Repression durch das Römische Reich ausgesetzt, später litt sie unter der islamischen Herrschaft. Deshalb sieht sich die Religionsgemeinschaft – von den 85 Millionen Ägyptern sind bis zu acht Millionen Kopten – als „Kirche der Märtyrer“. Diese Rolle fiel ihr auch nach dem Arabischen Frühling zu: Übergriffe auf koptische Einrichtungen nahmen stark zu – und dauern in abgeschwächter Form bis heute an.

Oberhaupt der Kopten ist seit 2012 Tawadros II., dessen offizieller Titel „Papst von Alexandrien und Patriarch des Stuhles des Heiligen Markus“ trägt. Sein Sitz ist in Kairo.
Die Kopten hatten sich mit anderen altorientalischen Kirche nach dem Konzil von Chalcedon 451 von der restlichen Christenheit abgespalten. Sie lehnen die Lehre von den zwei Naturen Christi – göttlich und menschlich – ab und bekennen sich zu der einen „gottmenschlichen“ Natur.