Libanon: Bei Schnee und Frost im Zelt
Über die undichten Fensterrahmen des notdürftig umgebauten Kellerverschlages kriecht die feuchte Kälte herein. „Eine Heizung haben wir hier nicht“, erzählt Taha*. Aber zumindest ein Dach über dem Kopf – auch wenn die syrische Mutter und ihre elf Kinder, ihr Mann, die Schwiegertochter und deren eine Woche altes Baby einander in den zwei kleinen Zimmern buchstäblich auf die Füße treten.
Es ist ihr erster Winter hier im benachbarten, sicheren Libanon. Aus ihrem Haus in Syrien ist die Familie Hals über Kopf geflohen, als bewaffnete Männer im Heimatdorf aufmarschierten. „Alles ist kaputt“, sagt Taha, „alles ist weg, in unserem Haus ist nichts mehr, nicht einmal Steckdosen.“ Ob es Soldaten der syrischen Armee waren, Rebellen, islamistische Kämpfer oder einfach Räubermilizen – Taha seufzt nur, die Angst steckt ihr noch immer in den Knochen. Nicht einmal ihren echten Namen wagt sie zu nennen.
Nächste Katastrophe
Nach den erlittenen Kriegsgräueln ist über die syrischen Flüchtlinge die nächste Katastrophe hereingebrochen: der Winter. Regenstürme und Schneeschauer peitschen seit zwei Tagen über den Libanon und bringen damit Hunderttausende Flüchtlinge an die letzten Kräfte ihres Überlebenskampfes. Inmitten von Schlamm und Frost frieren sie in kleinen Zelten, in provisorisch aus Planen und Lattengestellen zusammengezimmerten Notunterkünften, unter Verdecken, in Garagen und eiskalten Lagerhallen. Nur die wenigsten Flüchtlinge hatten das Glück und die Mittel, in privaten Behausungen mit Heizung unterzukommen.
Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die libanesische Armee verteilten Thermodecken, Matten und Gutscheine für Heizmaterial. Doch an der nordlibanesischen Grenze zu Syrien liegt der Schnee bereits zehn Zentimeter hoch, noch einmal so viel wird in den kommenden Tagen erwartet.
„Wir sind extrem besorgt über die Lage der Menschen“, schildert UNHCR-Sprecherin in Beirut, Dana Sleiman, dem KURIER. 1,7 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern wurde der UNO für den Libanon versprochen – eingetroffen ist davon erst die Hälfte.
Die Errichtung großer Flüchtlingslager hat die libanesische Regierung nicht gestattet – aus Angst, die Flüchtlinge könnten den nur vier Millionen Einwohner zählenden Libanon nicht mehr verlassen. 1,3 Millionen Syrer sind bereits im Land. „Nie zuvor“, sagt UNHCR-Sprecherin Dana Sleiman in Beirut, „hat ein Land in so kurzer Zeit so viele Flüchtlinge aufgenommen.“
„In jedem Dorf und jeder Stadt im Libanon gibt es jetzt syrische Flüchtlinge“, bestätigt auch Ghassan Akkary, Leiter des Hilfswerks Austria International im Libanon. Dass es noch mehr werden dürften, davon geht man im Zedernstaat aus.
Spenden erbeten an: Hilfswerk Austria International, Ktnr.: PSK 90.001.002. „Flüchtlingskinder aus Syrien“. BLZ: 60000. IBAN: AT716 000 000 090 001 002
*Name von der Redaktion geändert
Schwerer Rückschlag für die vom Westen unterstützten moderaten Rebellen in Syrien: Nicht ihr eigentlicher Hauptgegner, die syrische Armee, sondern radikal-islamische Kämpfer der „Islamistischen Front“ haben eines der Hauptquartiere und wichtigsten Waffenlager der Rebellen in Nordsyrien erobert. Von Bab al-Hawa nahe der türkischen Grenze aus wurde auch die Verteilung von US-Hilfsgütern in Syrien koordiniert.
Nach der Erstürmung des Lagers floh der bedeutendste Befehlshaber der syrischen Rebellen, Selim Idriss, ins Ausland. Er soll sich derzeit in Doha befinden. Die USA versuchen, ihn zu einer Rückkehr zu bewegen.
Erste Konsequenz der Eroberung des Rebellen-Lagers durch die Islamisten: Die USA und Großbritannien haben sämtliche Lieferungen so genannter „nicht-tödlicher Hilfsgüter“ nach Nordsyrien vorerst eingestellt. Darunter fallen Funkgeräte ebenso wie Schutzwesten oder sonstige militärische Ausrüstungsgegenstände. Die Rebellen der „Freien Syrischen Armee“ kritisierten den Schritt als vorschnell und falsch.
Stattdessen konzentrieren die USA ihre Hilfe für die Aufständischen nun offenbar auf den Süden des Bürgerkriegslandes. Wie die israelische Website debka berichtet, sollen die moderaten syrischen Rebellen dort von Jordanien aus unterstützt werden. Im haschemitischen Königreich haben die USA derzeit 11.000 Soldaten stationiert – zur Ausbildung der Rebellen, aber auch zum Schutz Jordaniens.