Politik/Ausland

Lee Kuan Yew, Vater einer unglaublichen Erfolgsstory

Man nehme: Eine kleine, übervölkerte Insel, bitterarm und rückständig, ohne Rohstoffe und Infrastruktur und forme sie binnen weniger Jahrzehnte zu einem der wohlhabendsten und innovativsten Staaten der Welt. Der Vater dieses politischen Kunststückes, das den asiatischen Stadtstaat Singapur express von der Dritten in die Erste Welt katapultierte, ist Lee Kuan Yew. Gestern starb der im Land geradezu mythisch verehrte Staatsgründer 91-jährig in einem Krankenhaus. Sieben Tage lang wird offiziell getrauert. Am Sonntag soll Lee begraben werden.

Die älteren Bewohner Singapurs können sich noch gut daran erinnern: Wo heute Hochhausfassaden glitzern, karrten in der ehemaligen britischen Kolonie Bauern und Fischer ihre kargen Waren durch die schlammigen Straßen. Es hatte düster ausgesehen, auf "diesem kleinen, armen Marktplatz in einer dunklen Ecke Asiens", wie es ein UN-Beauftragter in den ersten Tagen der Unabhängigkeit Singapurs 1965 formulierte.

Eine Vision für Singapur

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Doch Zögern stand nicht auf dem Programm seines Premierministers. Lee Kuan Yew, einst brillanter Wirtschaftsstudent in Cambridge, Sohn einer chinesischen Mittelstandsfamilie, hatte von Anfang an eine klare Vision: Singapur für den Handel öffnen, die Wirtschaft vollkommen liberalisieren, Investoren ins Land holen – und dabei den Wohlstand für alle mehren. Das Wichtigste dabei: eine strenge, aber verantwortungsvolle und vollkommen korruptionsfreie Regierung.

Eine Formel, die bestens funktionierte: Vom Billigproduktionsland entwickelte sich Singapur zum High-Tech-Standort und einem der attraktivsten Finanzplätze der Welt. Hand in Hand damit ging der Ausbau ausgezeichneter staatlicher Schulen und Universitäten, eines staatlich geförderten Wohnbauprogrammes und umfassender Krankenversorgung.

"Ideologiefrei"

Über 30 Jahre lang blieb der messerscharf denkende Premier an der Spitze des Stadtstaates. Und auch die folgenden 20 Jahre hielt Lee als Chefberater der Regierung die politischen Fäden weiter fest in der Hand. Seine Ideologie? – wurde er von der New York Times gefragt. "Wir sind ideologiefrei", antwortete Lee. "Es geht nur darum: Funktioniert es – gut, dann machen wir weiter. Funktioniert es nicht, versuchen wir was anderes."

Pragmatisch, effizient, unsentimental, zukunftsorientiert, aber auch autoritär, so schildern Freunde und Kritiker den Staatsgründer. Die Nation dürfe nicht ruhen, drängte Lee, müsse stets daran arbeiten, sich zu verbessern: Dazu gehörte das Gebot an alle, gut Englisch zu lernen ebenso wie das absolute Verbot, Kaugummi auf der Straße auszuspucken.

Ängste, dass Singapurs neuer Glanz rasch wieder verblassen könnte, saßen Lee stets im Nacken. Nahezu jede Nacht wache er auf, gestand er einst dem Time-Magazine, "und dann drehen sich die Sorgen im Kreis." Nur Meditation helfe, sagte er. Und die Gewissheit, den Stadtstaat in fester Regierungshand zu wissen.

Kritiker hat Lee stets von der politischen Bühne gedrängt, mit Millionenklagen eingedeckt und zum Verstummen gebracht. Medien-, Rede- oder Demonstrationsfreiheit gibt es in Singapur bis heute nicht. Kein Thema für den Politiker, dem Disziplin für sich und seine Gefolgsleute stets wichtiger war als Demokratie. "Im Westen schätzt man die Freiheiten des Einzelnen", sagte er einmal. "Aber als Asiate sind meine Werte: eine gute Regierung, ehrlich und effizient."