Le Pen setzt Regierung und Opposition unter Strom
Von Danny Leder
Seit die rechtspopulistische „Front national“ (FN) und eine weitere Rechtsaußen-Gruppe am vergangenen Sonntag, im ersten Durchgang einer Kantonalwahl in der Kleinstadt Brignoles, im Hinterland der Cote d’Azur auf insgesamt 50 Prozent der Stimmen kamen, wirkt Frankreichs Öffentlichkeit wie unter Hypnose der FN-Chefin Marine Le Pen. Morgen, Sonntag, findet in Brignoles die abschließende Stichwahl zwischen der FN und der konservativen Sammelpartei UMP statt (In Frankreich wird meistens in zwei Durchgängen gewählt, wenn im ersten Wahlgang keine Partei auf Anhieb die absolute Mehrheit erreicht). Siegt der FN-Kandidat in Brignoles wird der Medienhype um die Pariser Nationalistin noch weiter ansteigen.
Das linksliberale Magazin „Nouvel Observateur“ sieht ihre FN auch schon als „drohende“ Siegerin der EU-Wahlen im nächsten Juni, gestützt auf eine Umfrage, die ihr mit 24 Prozent eine relative Stimmenmehrheit voraussagt. Der Sog, den die 45 jährige wortgewaltige, studierte Anwältin ausübt ist, auch daran zu ermessen, dass sie schon im Sprachgebrauch der auf Abkürzungen versesennen französischen Printmedien über ein eigenes Kürzel – MLP – verfügt, und dass sie in der Bevölkerung oft nur mehr „Marine“ genannt wird. Letzteres ist auch ein Zeichen für eine gewisse Image-Abkoppelung gegenüber ihrem Vater, dem inzwischen 85 jährigen Parteigründer Jean-Marie Le Pen, der sich wesentlich ungenierter in rechtsrechten Gefilden bewegte.
Alain Delon – ein Freund der Le Pens
Auch dass sich Alain Delon, ein langjähriger Freund der Familie Le Pen, jetzt aus seinem Schweizer Fiskalexil gemeldet hat, um der FN seine Sympathie zu bescheinigen, wird vielfach als Novum herumgereicht: „Seit Jahren kämpfen Vater und Tochter Le Pen, aber alleine. Jetzt sind erstmals die Franzosen auf ihrer Seite. Die Menschen haben die Schnauze voll und wollen Taten sehen“, erklärte der Ex-Filmstar, der sich im gleichem Atemzug über den Erfolg einer Genfer Populistenbewegung (20 Prozent bei einer Kantonalwahl) freute, obwohl diese Partei die französischen Arbeitspendler in der Schweiz bekämpft. „Das ist ein weiteres Zeichen der Zustimmung für uns, ich hatte mit die Erklärung von Alain Delon gar nicht gerechnet“, gab sich Marine Le Pen erstaunt.
Zweifellos erschüttert die FN sowohl Frankreichs linkes Regierungslager als auch die konservative Opposition. Die traditionellen Linkswähler sind zwar bisher in nur sehr geringem Ausmaß zu Le Pen übergelaufen, sie üben sich aber vielfach in Wahlenthaltung.
SP-Politiker klagen über eine „Depression“ ihrer Anhänger. Seit dem Amtsantritt von
Präsident Francois Hollande haben die Linksparteien, namentlich die Sozialisten und die Grünen, fast alle lokalen Wahlen verloren. Der SP-Staatschef sackte gleichzeitig in ein permanentes Popularitätstief.
Auch in Brignoles waren am letzten Sonntag zwei Drittel der Wahlberechtigten den Urnen fern geblieben. Die Ermüdung der Wähler hängt wohl auch damit zusammen, dass dort wegen Wahlanfechtungen schon zum dritten Mal innerhalb von zwei Jahren gewählt wird. Außerdem hatte die FN in diesem Kanton in der Vergangenheit schon einmal die Mehrheit errungen. Darüber hinaus verfügte bereits Vater Le Pen in diesem Südwesten Frankreichs über ein großes Wählerreservoir, nicht zuletzt unter den hunderttausenden Franzosen, die aus Algerien nach der Unabhängigkeit dieser einstigen Kolonie, auf die französische Seite des Mittelmeers vertrieben worden waren. Außerdem verfügt die Gegend auch über sündteure Villenviertel, die sich aus Sicherheitsgründen immer mehr abschotten, und in denen es ebenfalls einen traditionellen Überhang zugunsten der FN schon zuvor gab.
Heimatlos im Speckgürtel
Aber trotz dieser Besonderheiten, liegt Brignoles im landesweiten Trend. Der Wahlkreis ist einerseits ein vormaliges Industrierevier (Bauxit-Gewinnung), das zugrunde ging. Gleichzeitig reicht dieser Wahlkreis in einen jener Speckgürtel, die die großstädtischen Zonen in ganz Frankreich umgeben. Die Bewohner sind vornehmlich Arbeitnehmer, die aus den größeren Städten wegen der zu hohen Wohnungskosten, der Bevölkerungsdichte und manchmal auch aus Ablehnung der Migrantenfamilien weggezogen sind, und sich ihren Traum vom Eigenheim verwirklicht haben. Seit Beginn der Wirtschafskrise, die in Frankreich viel früher als in Österreich einsetzte und weitaus mehr Arbeitsplätze vernichtete, wurde dieser Traum für viele zum Alptraum – sei es nun wegen der immer höheren Kosten für Treibstoff und Heizen oder die vielfach noch anstehenden Kreditzahlungen. Das Wegsparen öffentlicher Einrichtungen, wie Kindergärten, Gerichte, Kommissariate oder Ämter hat in diesen zersiedelten Gebieten das Gefühl der Heimatlosigkeit und der Vernachlässigung durch den Staat verstärkt. Ablehnung und Neid richten sich gegen die muslimischen Migrantenfamilien. die in den abgewohnten Ortskernen stellenweise das Straßenbild prägen. Diese Familien gehen vielfach auf jene Arbeiter zurück, die von der vormaligen Industrie herbeigelockt wurden. Die Jugendlichen aus diesen Familien stoßen bei der Jobsuche auf besonders hohe Hürden. Ein Teil ist entsprechend verhärmt, einige klammern sich an besonders demonstrative religiöse Praktiken, einige sind in die Kriminalität abgerutscht.
Ohne EU wieder Rente ab 60
Marine Le Pen verspricht die Rückkehr zur vormaligen Situation mit Vollbeschäftigung, umfassender Präsenz des Staates und auch dem Beibehalt des Pensionsantritts ab 60 Jahren, wenn Frankreich bloß sich von der EU und dem Euro verabschieden würde. Obwohl die Mehrheit der Franzosen vor einem EU-Austritt zurückschrecken, trifft das doch eine Schwachstelle namentlich der Linkswähler. Diese sind darüber enttäuscht, dass Präsident Hollande inzwischen in entscheidenden Belangen, sei es nun bei der Rentenreform, den Arbeitsmarktregeln oder den Steuern zwar nicht haargenau die selbe Politik wie sein Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy betreibt, aber grundsätzlich die selben, mit Brüssel akkordierten Sanierungsziele verfolgt.
Hollande versucht durch den Verweis auf erste Erfolge seiner Politik, etwa im Bereich der staatlich geförderten Jugendjobs, und durch Besuche in erfolgreichen Unternehmen ein wenig Optimismus zu verbreiten. Aber die anhaltende Massenarbeitslosigkeit (Die Arbeitslosenrate in Frankreich ist mit fast 11 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in Österreich), die vielfach extrem prekären Beschäftigungsverhältnisse und eine Flut von Steuererhöhungen auch für Niedrigverdiener untergraben einstweilen diese Bemühungen.
Aber auch die konservative Opposition kann von dieser Schwäche des Regierungslagers kaum profitieren: seit der Wahlniederlage von Sarkozy 2012 ist ihm seine Sammelpartei UMP, die von heftigen Führungskämpfen zerrüttet wird, entglitten. Sarkozy bereitet zwar seine Rückkehr in die Politik vor und die Mehrheit der UMP-Anhänger sehen in ihm eine Art Retter. Er hat aber noch mehrere Justizaffären durchzustehen und sein mögliches Comeback als Kandidat bei den Präsidentenwahlen wird, laut Umfrage, einstweilen von sind 52 Prozent der Franzosen abgelehnt.