Kurz-Besuch im Zeichen der Flüchtlingskrise
Von Armin Arbeiter
Der Prunk vergangener Tage schimmert im Foyer des Regierungsgebäudes in Tripolis: goldene Stuckverzierungen, Marmorsäulen, hohe Wände. Hochgewachsene Soldaten weisen den Weg ins Pressezentrum. Es ist ruhig in der Stadt – die Libyer nehmen den 1. Mai ernst.
An anderen Tagen sieht die Lage anders aus. "Wir brauchen die Unterstützung der EU, um wieder Stabilität in unser Land zu bringen, und um das Flüchtlingsproblem zu lösen", sagt Mohamed Taher Siyala, der Außenminister Libyens. Neben ihm steht Außenminister Sebastian Kurz, der sich am Montag auf den Weg nach Tripolis gemacht hat, um Gespräche mit der "Einheitsregierung" zu führen. Sie ist eine von drei Regierungen, die im Bürgerkriegsland um die Macht kämpfen, während die Bevölkerung mehr und mehr in Armut versinkt. Und auch Kurz hat die Flüchtlingskrise im Auge: Nur, dass Libyen sie für die EU lösen soll. Kurz spricht von einem "Systemwechsel" in der Flüchtlingspolitik, den Europa brauche. Und er spricht davon, die Mittelmeerroute für Flüchtlinge schließen zu wollen. Flüchtlingszentren in dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Libyen schließt Kurz derzeit wegen der prekären Sicherheitslage aber aus.
UNHCR: "Da kann man keinen einzigen Menschen zurückschicken."
Die Einheitsregierung unter Premierminister Fayiz as-Sarraj wird von der EU mit 800 Millionen Euro unterstützt – sie soll an Einfluss in dem Land gewinnen. Denn derzeit ist dieser mehr als bescheiden. Nicht einmal die Hauptstadt ist vollständig unter Kontrolle Sarrajs – eine islamistische Regierung ringt mit ihr um die Macht, während das demokratisch gewählte Parlament im ostlibyschen Tobruk sitzt.
Für Kurz führt kein Weg an Sarraj vorbei, wurde die Einheitsregierung doch von der UNO vermittelt. "Diese Regierung ist meiner Meinung nach der einzige Weg für ein starkes Libyen", sagt er. Sein Besuch sei ein klares Zeichen der Unterstützung, bald soll die österreichische Botschaft nach Tripolis zurückkehren, auch Direktflüge von Tripolis nach Wien sind geplant.
Die Krise
Und dann ist da die Flüchtlingskrise: Hunderttausende machten sich bereits von Libyen aus auf den Weg nach Europa, laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex sollen es heuer 270.000 sein. Bereits 37.000 Menschen sind seit Jahresbeginn in Italien angekommen. Die Flüchtlinge harren unter unmenschlichen Bedingungen in Lagern an der Küste aus, Schlepper und Milizen zwingen Frauen zur Prostitution, Nahrungsmittel und medizinische Versorgung gibt es praktisch nicht.
Die EU möchte Sarraj mit Geld und Gerät ausstatten, auf dass dieser die südlibysche Grenze sichere. Mehr als 4000 Kilometer umfasst die Landgrenze. Dort befinden sich auch Gebiete von Tuaregstämmen, die durch Menschenschmuggel enorm profitieren und diese Quelle nicht leichtfertig aufgeben werden. Seit Jahrhunderten handeln sie mit Waren aller Art – Diamanten, Stoffen, Menschen. "Je stärker die Einheitsregierung wird, desto mehr gibt es die Chance, einen Grenzschutz zu bewerkstelligen. Doch selbst dann müssen wir uns genau ansehen, welcher Gruppe wir Equipment und Geld geben werden", sagt Kurz.
Auf militärische Unterstützung aus dem Ausland will Libyen verzichten: "Waffen sind uns lange nicht so wichtig wie Zäune und Drohnen, um den Grenzschutz sicherzustellen", sagt Siyala.
Bevor das geschehen kann, muss jedoch wieder Friede im Land einkehren und der dürfte noch lange auf sich warten lassen.
(Armin Arbeiter)
Katja Lorenz, über zwei Jahre Delegationsleiterin des Internationalen Roten Kreuzes in Libyen, bringt die Lage in dem Bürgerkriegsland mit zwei knappen Sätzen auf den Punkt: „Allianzen können sich ständig ändern. Hat sich an einem Tag ein Bündnis gebildet, heißt das nicht, dass sie sich am nächsten Tag nicht wieder bekämpfen.“ Viel zu viele Gruppierungen würden in Libyen eigene Interessen vertreten, sagt sie.
Libyen ist ein Land, in dem sich vielerlei Krisen und Kriege überlagern. Da ist der seit 2013 tobende Bürgerkrieg mit seinen ständig wechselnden Allianzen und Rivalitäten. Da sind die seit Jahrzehnten in das Land mündenden Flüchtlingsströme aus Subsahara-Afrika. Und da sind die Netzwerke jener, die aus der Notlage dieser Menschen Profit schlagen – seien es Schleuser oder Unternehmer, die quasi Leibeigenschaft praktizieren. Nein, so Christoph Pinter, Chef des Österreich-Büros des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR vor wenigen Tagen zu Journalisten in Wien, „aus jetziger Sicht kann man da keinen einzigen Menschen zurückschicken.“
Lediglich 40.000 Flüchtlinge hat das UNHCR in Libyen registriert. Die geschätzte Zahl der International Organisation für Migration (IOM) liegt bei 700.000 bis zu einer Million. Zu den ausländischen Flüchtlingen hinzu kommen laut UNHCR 300.000 intern Vertriebene. Der Grund für die Differenz zwischen Schätzungen und Registrierungen: Es mangelt an Strukturen. Pinter: „Wir sehen die Sicherheitslage so, dass wir mit internationalen Mitarbeitern dort nicht arbeiten können.“ Zu gefährlich. „Zu viele parallele Strukturen“, wie es Pinter nennt. Das UNHCR arbeitet in Libyen ausschließlich über lokale Partner.
Dabei wäre das UNHCR der Idee, Asylanträge außerhalb der EU und damit etwa in Libyen zu bearbeiten, grundsätzlich nicht abgeneigt. Wohlgemerkt, wie Pinter betont: „unter gewissen Bedingungen“. Bedingungen, von denen man konkret in Libyen meilenweit entfernt sei. Seine Schätzung: „In vielen vielen Jahren.“ Und das unter der Voraussetzung, dass dem Land massiv beim Aufbau von Strukturen geholfen werde.
AbzugAufgrund der Sicherheitslage hat auch das Rote Kreuz seine ausländischen Mitarbeiter für Libyen in Tunis stationiert. Und auch Katja Lorenz kennt die Schwierigkeiten im Umgang mit den libyschen Behörden: „Wir müssen mit sehr vielen Gruppierungen Kontakt knüpfen.“ Das IKR selbst wurde 2014 zum Ziel, als ein internationaler Delegierter umgebracht wurde. In der Folge wurde das gesamte internationale Team abgezogen. „Die Sicherheitslage“, so Lorenz, „hat sich seitdem nicht verbessert.“
Während sich das UNHCR in Libyen mehr oder weniger darauf beschränkt, die Freilassung von Flüchtlingen aus den gefürchteten Gefängnissen diversester Milizen zu verhandeln, ist das anderen Organisationen zu heikel. „Man muss vorsichtig sein mit Gefängnisbesuchen in Libyen“, sagt Katja Lorenz. „Mit diesen vielen verschiedenen, bewaffneten Akteuren, vielen Kämpfen, möchten wir unsere Angestellten dieser Situation nicht aussetzen.
Aber da ist vor allem auch ein Punkt, den Christoph Pinter in Treffen führt. Zu glauben, dass man flüchtende Menschen davon abhalten könne, den letzten Schritt in einer langen, sehr gefährlichen Reise zu tun und über das Mittelmeer zu fahren, sei nicht realistisch. Denn die allermeisten Flüchtlinge in Libyen hätten den weitaus gefährlichsten Abschnitt ihrer Flucht bereits hinter sich: Die Durchquerung der Sahara. Und darüber, wie viele Menschen dabei sterben, gibt es gar keine Zahlen. Es herrsche, so Pinter, doch eine sehr „europäische Sicht“ der Lage.
Man müsse Bewusstsein schaffen in Krisenregionen dafür, dass eine gefährliche Flucht erst gar nicht nötig würde – durch Hilfe und vor allem Perspektiven in Erstaufnahmeländern. Dazu brauche es aber auch Mechanismen, für legale Fluchtwege sowie Finanzierung. Und gerade Letzteres ist ein Thema. Beispiel Syrien: Projekte des UNHCR in der Region waren 2016 nur zu 63 Prozent finanziert.
(Stefan Schocher/Armin Arbeiter)