Politik/Ausland

Kritik an Roms „humanitären Auktionen“

Vor der Küste von Pozzallo zeigte sich bis in der Nacht zum Montag ein paradoxes, aber mittlerweile bekanntes Bild: Zwei Marineschiffe warteten tagelang nur Hunderte Meter vor der sizilianischen Hafenstadt auf eine Anlegeerlaubnis. Während sich Badeurlauber und Einheimische am Strand aalten, mussten in Sichtweite 450 Frauen, Männer und Kinder um ihr weiteres Schicksal bangen. Das lag in der Hand von Premier Giuseppe Conte, der EU-Regierungschefs zur Aufnahme eines Teils der Flüchtlinge drängte. Mit Erfolg. Um Mitternacht durften die Migranten an Land gehen: Nach zähen Verhandlungen hatten sich Spanien, Portugal, Deutschland, Malta und Frankreich bereit erklärt, je 50 Personen aufzunehmen. Auch Irland bietet 20 Personen Schutz.

81 Kinder an Bord

Die von der langen Überfahrt und Wartezeit erschöpften Menschen, darunter auch 81 unbegleitete Minderjährige, wurden sofort in das Aufnahmezentrum von Pozzallo gebracht. „Wir haben immer Flüchtlinge aufgenommen und werden sie weiterhin aufnehmen“, betonte Pozzallos Bürgermeister Roberto Ammatuna. „Die Landung dieser Menschen ist ein Sieg für Italien und Europa.“

„Erstmals können wir behaupten, dass diese Migranten in Europa eingetroffen ist“, sagte Premier Conte. Die Regierung werde entschlossen, aber respektvoll gegenüber Menschenrechten diesen Weg fortsetzen.

„Von einem politischen Erfolg“, sprach Italiens Innenminister Matteo Salvini und rief die EU erneut dazu auf, „Libyen als sicheren Landehafen für Migranten“ einzustufen. „Wir müssen die Regeln ändern“, betonte Salvini bei seinem Besuch am Montag in Moskau. Er prangerte die „Heuchelei Europas, das den Libyern Geld gibt und die Küstenwache ausbildet, Libyen jedoch nicht als sicheren Hafen betrachtet“ an.

Mit den Kräften am Ende

Eine italienische UNHCR-Sprecherin kritisierte derweil die „ungerechte Verlängerung des Leidens der Menschen durch die tagelangen Warterei nahe der Küste.“ Der Arzt des Aufnahmezentrums von Pozzallo berichtete von vielen unterernährten, schwer dehydrierten Personen. Viele leiden auch an Hautkrankheiten. Ein junge Frau aus Eritrea berichtete von dramatischen Zuständen an Bord: „Wir haben wiederholt die Rettung gerufen, aber es kam niemand. Die Situation war gefährlich, wir warteten zwei Nächte und zwei Tage.“ Zusammen mit drei anderen Frauen wurde sie ins Krankenhaus nach Palermo gebracht.

Politaktivist Massimo Marnetto fragt sich, ob „humanitäre Auktionen in Gruppen von 50 Personen das neue Aufnahmemodell auf freiwilliger Basis der EU“ sind. Wenn dies die Zukunft der europäischen Gastfreundschaft ist, so Marnetto zum KURIER, steht sie auf sehr fragilen Beinen.

Appell an Christen

Eine Gruppe von Katholiken forderte die italienische Bischofskonferenz auf, öffentlich gegen Rassismus und Fremdenhass aufzutreten. „Denn man kann nicht gleichzeitig Christ sein und Immigranten misshandeln und verachten“, so ihr Appell an manche katholischen Politiker. Dringend würden humanitäre Korridore und legale Einreisewege benötigt.