"Ein Enthauptungsschlag gegen Kim Jong-un wird diskutiert"
Die Krise zwischen den USA und Nordkorea nimmt bedenkliche Ausmaße an. Vor einem angeblich für Samstag geplanten neuerlichen Atomwaffentest Pjöngjangs testeten die USA ihrerseits eine Nuklearwaffe. Über dem US-Bundesstaat Nevada warf ein F-16-Kampfjet eine äußerst schlagkräftige B61-12-Bombe ab, allerdings ohne atomaren Sprengkopf. Erst am Donnerstag hatte US-Präsident Trump in Afghanistan die sogenannte „Mutter aller Bomben“ eingesetzt – wohl als Drohung gegenüber Russland.
Laut dem US-TV-Sender NBC bereiten die USA einen Militärschlag vor, sollte Nordkorea seinen Atomtest tatsächlich durchführen. Washington dementierte das zwar, allerdings soll am Wochenende der US-Flugzeugträger „USS Carl Vinson“ samt Begleitschiffen in koreanischen Gewässern eintreffen.
Der KURIER beantwortet wichtige Fragen zur Krise.
Warum "spielt" Nordkorea mit der Atombombe?
Laut Rüdiger Frank, Nordkorea-Experte und Leiter des Ostasieninstituts der Universität Wien, der regelmäßig in das abgeschottete Land reist, ist das "kein Spiel. Nordkoreas Führung will Atomraketen, weil sie glaubt, nur so ihre Sicherheit garantieren zu können." Diesem Ziel werde alles andere untergeordnet.
Wie viele Atomtests hat Nordkorea bisher durchgeführt?
Nordkorea begann in den 1980er-Jahren unter Diktator Kim il-Sung mit der Entwicklung von Atomwaffen. 2006 führte das Regime – jetzt unter Sohn Kim Jong-il – den ersten unterirdischen Test einer Atombombe durch. 2009 folgte ein zweiter Test, 2013 und 2016 – unter dem jetzigen Staatschef Kim Jong-un – wurden drei weitere Bomben gezündet. Internationale Verhandlungen über ein Ende des Atomprogramms im Austausch für dringend benötigte Wirtschaftshilfen scheiterten mehrmals, auch harte Sanktionen konnten Pjöngjang nicht aufhalten.
Wie viele Atombomben hat Nordkorea? Welche Reichweite haben seine Raketen?
Das ist nicht klar. Schätzungen zufolge hat Nordkorea bis zu 1000 Raketen, die Südkorea treffen könnten, sowie Raketen mit bis zu 4000 Kilometern Reichweite, die in Japan oder auf dem US-Stützpunkt Guam im Pazifik einschlagen könnten. "Fakt ist aber", so Experte Frank, "dass sich die Fähigkeiten Nordkoreas ständig verbessern. Man erwartet, dass das Land bald in der Lage sein wird, atomar bestückte Raketen über den Pazifik zu schießen."
Besteht die Gefahr eines US-Präventivschlags und wie würde Nordkorea reagieren?
Ein solcher Schlag wurde am Freitag dementiert. Frank gibt aber zu bedenken, dass US-Präsident Trump "schwer zu berechnen" sei, man müsse also von der Gefahr eines Präventivschlages ausgehen: "Auf diesen würde Nordkorea umgehend und vermutlich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln reagieren."
Welche Ziele würden die USA ins Visier nehmen?
Ein Präventivschlag würde sich Franks Einschätzung zufolge gegen das Atomtestgelände bei Punggye-ri oder gegen Raketentestgelände richten. "Auch ein Enthauptungsschlag gegen Kim Jong-un wird diskutiert."
Wie groß ist die Gefahr, dass Nordkorea Atomwaffen einsetzt – und wer muss sich fürchten?
"Nordkorea weiß, dass es im konventionellen Bereich keine ernsthafte Bedrohung darstellt", so Frank. Darum entwickle man trotz der hohen Kosten die Atomwaffen. "Anstatt auf einen Präventivschlag mit Artillerie zu antworten und dann den vernichtenden Gegenschlag abzuwarten, wird Kim Jong-un in Reaktion auf einen ersten Angriff möglicherweise sofort seine Atomwaffen einsetzen. Folglich ist die gegenwärtige Politik der USA ein Spiel mit dem Feuer. Nordkorea ist nicht Syrien." Besondere Sorgen müssten sich Südkorea und Japan machen, aber auch China.
Ist Europa in Gefahr?
Europa wird laut Frank nicht direkt betroffen sein, "allerdings haben wir starke Wirtschaftinteressen in der Region".
Haben die USA in Nordkorea Geheimagenten im Einsatz?
Dazu haben selbst führende Experten wie Rüdiger Frank keine Informationen: "Allerdings hat vor Jahren der ehemalige Chef des CIA-Büros in Südkorea und spätere US-Botschafter in Seoul, Donald Gregg, betont, dass Nordkorea das einzige Land sei, wo es nicht gelungen wäre, Agenten zu platzieren."
Welche Rolle spielt China in dem Konflikt, könnte es Nordkorea fallen lassen?
China hat Nordkorea laut Frank schon lange fallengelassen, von einem engen Bündnis könne keine Rede sein. "Allerdings sitzen beide in einem Boot, geostrategisch gesehen. Kollabiert Nordkorea, dann dehnen die USA ihr Einflussgebiet bis an die chinesische Grenze aus. Es ist fraglich, ob ein chinesischer Staatschef so etwas innenpolitisch überleben würde."
Wo steht Russland?
"Russland beobachtet", analysiert Frank. Sowohl die USA als auch China seien strategische Gegner Moskaus. "Wenn diese sich gegenseitig schwächen, wäre das durchaus in Herrn Putins Interesse."