Der mörderische Assad-Clan
Von Andreas Schwarz
Als der syrische Machthaber Hafis al Assad im Juni 2000 nach knapp drei Jahrzehnten im Amt starb, musste das Parlament rasch das Mindestalter für einen Präsidenten senken: 40 Jahre, so sah es die Verfassung vor, doch Sohn Bashar war erst 34. Aber in einer Diktatur geht so etwas bekanntlich schnell. Und die 97,29 Prozent Stimmen, die Bashar al Assad im Parlament als neuer Präsident Syriens erhielt, waren auch nur Formsache.
Dennoch ruhten auf dem groß gewachsenen jungen Mann damals alle Hoffnungen, dass sich die Diktatur aus Syrien langsam verabschieden könnte. Das blutige Regime des Vaters mit seinem berüchtigten Geheimdienst "Muhabarat", mit dem mörderischen Vorgehen gegen Widersacher und Oppositionelle, das Bombardement der Stadt Hama zur Niederschlagung eines sunnitischen Aufstandes mit mehr als 10.000 Toten in den Achtzigerjahren – es konnte nur besser werden.
Heute, einen Bürgerkrieg später mit 250.000 Toten und dem halben Land auf der Flucht, weiß man: Es ist noch viel schlimmer gekommen. Und die bei den Syrien-Gesprächen dieser Tage höchst umstrittene Frage ist nur noch, ob Bashar al Assad Teil einer politischen Übergangslösung, wie sie jetzt angestrebt wird, sein kann oder nicht.
Für den Bruder eingesprungen
Dabei war ihm die mörderische Fortführung des Assad-Regimes nicht in die Wiege gelegt. Sein älterer Bruder Basil war als Nachfolger des Diktators Hafis al Assad vorgesehen. Bashar indes ging nach der Absolvierung seiner Schulausbildung (französisch-arabische Schule in Damaskus) nach London, studierte Augenheilkunde, lernte seine Frau Asma, Tochter eines syrischen Herzchirurgen, kennen und wurde ganz anders geprägt als der familiäre Clan daheim.
Doch als sein Bruder 1994 bei einem Autounfall ums Leben kam, schlugen die Clan-Regeln zu: Bashar, politisch völlig unbeleckt, wurde umgehend nach Hause beordert, um eine militärische und politische Ausbildung im Schnelldurchgang zu durchlaufen – als Vorbereitung für die irgendwann anstehende Nachfolge seines Vaters.
Und auch seine gemäßigt-liberalen "Flausen" wurden ihm schnell ausgetrieben. Assad machte zunächst mit ersten Liberalisierungen von sich reden, entließ einige politische Häftlinge, initiierte ein wirtschaftliches Reformprogramm mit ausländischen Investoren und der Privatisierung von Banken, ließ öffentliche Diskussionszirkel zu. Doch als sehr bald Rufe nach mehr Demokratie laut wurden, ruderte Assad, der sich zu Beginn noch gerne in Jeans und als volksnaher Präsident zeigte, zurück.
Mastermind hinter der Kehrtwende: der Assad-Clan und da vor allem Anisa al Assad, seine Mutter. Seit dem Tod ihres Mannes Hafis al Assad gilt sie als Drahtzieherin in Syrien. In Bashar al Assads ersten Präsidentenjahren lebte er mit ihr und seiner Frau unter einem Dach – es war ein offenes Geheimnis, dass Asma bei ihrer Schwiegermutter wegen ihres westlichen Lebensstils und ihrer Öffentlichkeitsliebe nicht wohl gelitten war. Anisa hatte die Heirat hintertreiben wollen.
Mutter nahm Fäden in die Hand
Anisa fungierte fortan als Beraterin Bashars, aber auch ihres anderen Sohnes, Maher. Der leitet die berüchtigte Republikanische Garde sowie die ähnlich übel beleumundete Elitetruppe Vierte Division, die mit Oppositionellen nicht viel Federlesens macht, und ist für seine Brutalität und seinen Jähzorn bekannt. Bei einem Attentat gegen das Regime im Jahr 2012 soll der faktisch mächtigste Mann Syriens ein Bein und Teile einer Hand verloren haben. Er ist aber weiterhin höchst aktiv.
Nicht minder groß soll der Einfluss einer weiteren Frau des Clans auf Bashar al Assad sein: der seiner älteren Schwester Bushra. Sie gilt als Hardlinerin wie ihre Mutter und ist die Witwe des beim selben Anschlag 2012 getöteten früheren Militärgeheimdienst-Chefs Assif Schaukat. Maher sah in ihm einst einen Rivalen und schoss ihn bei einem Streit in den Bauch.
Zwei dominierende Sippen
Mutter Anisa entstammt übrigens der syrischen Familie der Machlufs, deren Vermögen auf mehrere Milliarden Dollar geschätzt wird. Rami Machluf, Cousin des Präsidenten, gilt als der "Geldvermehrer" der Sippe. Anisa, heute 80 Jahre alt, soll inzwischen Syrien verlassen haben und im Exil in den Vereinigten Arabischen Emiraten leben.
Die Cousins und Neffen der beiden weit verzweigten Familien sind einander nicht immer grün, kontrollieren aber das syrische System und seine Gesellschaft – oder das, was noch von davon übrig ist. Und wer im Weg steht, wird beiseitegeräumt. Wie jener Oberst der syrischen Armee, der Sulaiman Hilal al Assad im Straßenverkehr von Latakia in die Quere kam – der Cousin des syrischen Präsidenten erschoss den Oberst einfach.
Es ist ein loses Bündnis, das jedes Spartendenken im Syrien-Krieg (pro-Assad, anti-Assad) auf den Kopf stellt. Im Norden Syriens formierte sich unlängst eine Gruppe, genannt "Syrische Kräfte für Demokratie" – bestehend aus kurdischen Formationen (YPG), lokalen Warlord-Milizen, aber auch Einheiten, die zuvor dem Umfeld der Freien Syrischen Armee (FSA) zugerechnet wurden. Der Kitt, der dieses Bündnis zusammenhält: Der Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS).
Angeblich, so heißt es, soll mithilfe amerikanischer Spezialeinheiten in der Region eine Offensive auf Al-Rakka vorbereitet werden, die De-facto-Hauptstadt des IS. Dazu hatte die Allianz vor einer Woche große Mengen Waffen seitens der USA erhalten.
US-Unterstützung hin oder her: Zumindest Teileinheiten der Gruppe haben offen zu verstehen gegeben, dass man sich durchaus auch eine Kooperation mit Russland vorstellen könne. Es ist also ein Bündnis, das Kräfte vereint, die Assad stürzen wollen, und auch solche, die zum Teil mit Assads Truppen kooperieren (YPG). Einige Teile dieses Bündnisses wollen die Unterstützung Russlands, das wiederum Assad durch Luftangriffe und vermutlich auch Spezialeinheiten stützt.
Das Bündnis ist ein Sonderfall. Aber es verdeutlicht, wie verfahren und fragmentiert die Lage in Syrien ist. Unter dem Druck des IS auf der einen Seite und dem Druck russischer Luftangriffe und syrischer Bodenoffensiven gegen Regimegegner auf der anderen Seite dominieren auf dem Schlachtfeld Zweckbündnisse, lose Allianzen, die so schnell wieder verschwinden, wie sie entstanden sind.
Nicht nur im Norden Syriens, wo die YPG weitestgehend das Sagen haben. Auch im Westen, wo alle möglichen Fraktionen der bewaffneten Opposition (alleine im Großraum Aleppo agieren bis zu 70 bewaffnete Gruppen) von säkularen bis islamistischen unter dem Druck russischer Luftangriffe plötzlich geeint scheinen, wie nie zuvor, um sich der Offensive der syrischen Armee entgegenzustellen.
Kurz zusammengefasst: Die Lage auf dem Schlachtfeld ist kaum zu überschauen – und zuweilen ist der einzige gemeinsame Nenner bewaffneter Gruppen der Wille, das Regime zu Fall zu bringen.
Das macht eine politische Lösung des Konfliktes nahezu unmöglich. Zum einen ist das Land nach fast fünf Jahren Krieg entlang ethnischer und religiöser Bruchlinien gespalten. Auch, wenn es christliche oder alawitische Einheiten auf Seiten der Rebellen gibt – die überwiegende Mehrheit aber sind Sunniten.
Aber mit jeder bewaffneten Gruppe mehr schwinden auch die Chancen auf einen Kompromiss – zumal die syrischen Kriegsparteien bei den Gesprächen um eine Lösung für Syrien noch nicht miteinbezogen wurden. Sollte es überhaupt einmal so weit kommen, stellt sich die Frage, inwieweit die seit jeher schwachen politischen Organe der Opposition etwas ausverhandeln können, das dann auch tatsächlich hält – etwa ein Waffenstillstand, an den sich die unzähligen lokalen Milizen dann auch trotz ihrer lokaler Allianzen tatsächlich halten.
Auch seitens der Nationalen Koalition (politisches Organ der bewaffneten Opposition) konnte man sich, was Visionen für eine Zukunft Syriens angeht, bestenfalls darauf einigen, dass Assad abtreten muss. Aber selbst, wenn es gemäßigtere Gruppen zu einer Einigung schaffen, bleibt das Problem islamistischer Verbände wie Al-Nusra-Front oder IS. Und Letzterer ist ohnehin ein eigenes Problem.