"Protest alleine bewirkt hier nichts"

Wie unterstreicht man die zukünftige Bedeutung der EU? Zum Beispiel mit einem Blick in die Vergangenheit. Also nimmt Othmar Karas die Sechstklässler des BRG Enns, die ihn im Brüsseler EU-Parlament besuchen, mit auf eine Zeitreise.

Schnell ein Foto vor den 28 Flaggen beim Eingang, hinein in einen schmucklosen Raum, los geht’s.

Karas erzählt von den 80er-Jahren: Als man in Niederösterreich Eisenbahnschienen abgetragen habe, weil man nicht glaubt, der Eiserne Vorhang würde fallen.

Wie er 1985 den ersten Entschließungsantrag einbrachte, „dass Österreich sich der EU annähern soll mit dem Ziel beizutreten“. Nach damaligen Vorstellungen hätte die EU nie mehr als zwanzig Mitglieder erreicht. „Und heute? Heute sind wir 28!“

Trotz erster Unruheerscheinungen bei den Mitreisenden folgt noch ein Zeitsprung, zurück zu einem der Gründungsväter der EU, Robert Schuman. Karas zitiert aus dessen historischer Rede von 1950 einen Satz, „der heute noch so gilt wie damals: Die EU entsteht nicht mit einem Schlag, sie ist nicht eine einfache Zusammenfassung. Die EU wird durch Ereignisse, die eine Tat der Solidarität schaffen, entstehen.“

Mit Karas’ Übersetzung des sperrigen, 63 Jahre alten Satzes endet die Zeitreise im Hier und Jetzt: „Was heißt das? Die Jugendarbeitslosigkeit braucht Taten der Solidarität, der Umweltschutz, die Finanzkrise. Die Probleme, die ein Land alleine lösen kann, werden weniger.“

Spagat Wien/Brüssel

Othmar Karas hat jetzt 39 Minuten geredet. Er hat zwischen den Zeitsprüngen erklärt, was die Rolle des Parlaments ist und seine als dessen Vizepräsident. Er hat seine Zuhörer mit den Entscheidungsverfahren der EU gefordert; hat sie damit zum Kichern gebracht, er habe den einmillionsten Facebook-Fan des Parlaments geehrt. Und er hat klargemacht, dass es in Brüssel „keine Entscheidung gibt, wo Österreich nicht dabei ist“

Zeit für Fragen.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus?Wie bringt man all die Aufgaben, die er gerade geschildert hat, in einen 24-Stunden-Tag? Er habe ein gutes Team, sagt Karas. Und die 112.000 Vorzugsstimmen bei der letzten EU-Wahl hätten ihm „die Kraft gegeben, weiterzumachen“.

Wer sind diese fraktionslosen Abgeordneten?, will ein Schüler wissen. Karas zählt sie auf, erklärt, die Entscheidungen fielen in den Fraktionen: „Mit Protest alleine bewirkt man hier nichts.“ Es ist in den eineinhalb gemeinsamen Stunden die einzige Wahl-Botschaft. Die letzte Frage kommt von Karas selbst: „Was erwarten Sie von mir?“ – „Dass Sie den Spagat zwischen Österreich und Europa schaffen.“ – „Das ist für mich kein Spagat“, sagt Karas, „aber sie haben recht, das ist der springende Punkt.“